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Engelsgrab

Engelsgrab

Titel: Engelsgrab
Autoren: Danielle Ramsay
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Verletzungen stammten, die gebrochene Nase, aufgeplatzte Oberlippe und Augenbraue. Aber Gates hatte das Gutachten gelesen, in dem Bradys Tobsuchtsanfall beschrieben wurde. Selbst ein Idiot hätte erfasst, dass Conrad einen Teil davon abbekommen hatte. Doch Conrad war loyal und hatte sein Bestes getan, um Brady vor sich selbst zu schützen.
    »Schwamm drüber«, lenkte Brady schließlich ein. »Ich sehe es ein und fertig, ja?«
    Mit einem Mal erkannte Brady, dass sein Zorn gar nicht Conrad galt, sondern sich selbst, weil er ihn überhaupt in diese Lage gebracht hatte. Conrad war nicht zu Gates gegangen, weil er wollte, dass Brady seinen Job verlor. Er wollte, dass Brady ihn behalten konnte. Und wenn das bedeutete, einen Psychologen zu engagieren, dann hatte er keine Skrupel, Gates um Unterstützung zu bitten.
    »Ich kann das vollauf verstehen«, wiederholte Brady.
    Conrad nickte und wirkte erleichtert, dass sie die Sache aus dem Weg geräumt hatten.
    »Jack?«, fragte von oben eine leise Stimme. »Was ist denn los?«
    Brady fuhr zusammen. Die Unbekannte in seinem Bett hatte er völlig vergessen.
    Conrad und er wandten sich um und schauten die Treppe hoch. Oben stand Dornröschen, zitterte und trug nur ihr T-Shirt und einen winzigen Slip. Sie strich sich das Haar aus dem Gesicht und musterte die beiden Männer schlaftrunken und verwirrt.
    »Nichts. Geh wieder ins Bett«, antwortete Brady peinlich berührt. Sein Privatleben ging niemanden etwas an und Conrad schon gar nicht.
    Beim Anblick der jungen Frau, die frierend und noch immer nicht ganz nüchtern oben auf der Treppe stand, widerte Brady sich selbst an. Claudia hatte recht gehabt. Er war ein Scheißkerl, der sich nie ändern würde, nicht wirklich. Der Beweis stand vor Bradys und Conrads Augen und zeigte, wie tief Brady gesunken war. Denn das, was er am vorigen Abend nicht mitbekommen hatte, war ihr Alter. Wenn sie einundzwanzig war, hätte es ihn gewundert.
    Brady drehte sich Conrad zu. »Also dann.«
    Conrad erwiderte nichts.
    Brady wusste, was Conrad dachte. Wäre er an dessen Stelle, würde er dasselbe denken, dass er es verdient hatte, Claudia zu verlieren.
    »Jack?«, rief die junge Frau ihm unsicher nach.
    Brady drehte sich noch einmal um und sah, wie sie da oben stand und die Arme um sich schlang.
    »Ich lasse dir meine Telefonnummer da«, bot sie an. »Dann kannst du mich anrufen – wegen heute Abend und so.«
    Brady nickte ihr zu, folgte Conrad hinaus in den stillen, kalten Morgen und beschloss, sie nie im Leben anzurufen. Für sie wäre es ohnehin das Beste, und er würde sich einreden, sie hätte nie existiert.
    Auf dem Weg durch den langen, schmalen Vorgarten sah Brady nur dunkles Grau und hörte die schweren Wellen, die sich unten an der Brown’s Bay brachen. Er wohnte am Southcliff, inmitten einer Reihe nobler viktorianischer Häuser auf einer Klippe über der Nordsee. Die Straße schmiegte sich in eine Biegung zwischen Cullercoats und Whitley Bay, sodass Brady nie recht wusste, ob sein Haus bereits zu der angesehenen Wohngegend des Fischerdorfes Cullercoats gehörte oder eher die äußere Grenze der ärmlichen Küstenstadt Whitley Bay markierte.
    Schon als Claudia zum ersten Mal die nach vorn geneigte Klippe sah, die beeindruckend steil zu den Felsen am Strand abfiel, hatte sie sich in das Haus und die Gegend verliebt. An einem schönen windstillen Tag war die Aussicht aus dem Wohnzimmer unten und dem Arbeitszimmer im ersten Stock atemberaubend, denn dann schaute man weit hinaus über eine stille blaue Wasserfläche, die in der Sonne glitzerte; und weiße Segeljachten und kleine bunte Fischerboote hoben sich vor dem tiefblauen Himmel ab. An anderen Tagen spiegelte das Meer den grauen Himmel und die dunklen Wolken wider, und schwere Wogen warfen sich gegen die Klippe. Es gab Zeiten, da türmten sie sich so hoch, dass sie Schaumspuren auf dem Pfad längs der Klippe hinterließen und die großen Fenster des Hauses mit salziger Gischt besprühten. Wenn sich dann einer der hiesigen Fischer aufmachte, da draußen im Unwetter seine Hummernetze einzuholen, stellte Brady sich ans Fenster und sah durch die salzigen Schlieren auf der Glasscheibe zu, wie das winzige Boot in dem tosenden Gewässer umhergeschleudert wurde.
    »Was für eine Saukälte«, fluchte er und schlug den Kragen seiner Lederjacke hoch, denn der Wind von der Nordsee her war beißend.
    Wortlos ging Conrad zu dem Wagen, der am Ende der engen gewundenen Straße am Rand der Klippe
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