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Engelsgrab

Engelsgrab

Titel: Engelsgrab
Autoren: Danielle Ramsay
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Eine junge Frau.«
    Über das, was ihn am Montag erwartete, hatte Brady bislang noch nicht nachgedacht, aber mit Sicherheit hatte er nicht gleich mit einem Kapitalverbrechen gerechnet. Ihm war beklommen zumute, als hätte ihn eine unangenehme Vorahnung beschlichen.
    »Gibt es schon Einzelheiten?«
    »Ich habe nur den Anruf erhalten. Mir ist lediglich bekannt, dass in West Monkseaton eine Leiche gefunden wurde. Auf einem verlassenen Bauernhof, nahe den Bahngleisen.«
    »Wissen wir schon, um wen es sich handelt?«
    Conrad schüttelte den Kopf.
    Hätte Conrad von North Shields oder sogar Shiremoor gesprochen, hätte Brady sich nicht weiter gewundert. West Monkseaton dagegen galt als die wohlhabende Ecke von Whitley Bay. Andererseits hatte auch Whitley Bay schon bessere Tage gesehen. Inzwischen hatte die Wirtschaftskrise ihre Spuren hinterlassen, und der Großteil der Geschäfte war geschlossen. Höchstens ein paar modrig riechende Wohltätigkeitsläden und schäbige Kneipen hatten überlebt.
    Als einziger Vorteil war dieser heruntergekommenen Küstenstadt ihre Nähe zu Newcastle upon Tyne geblieben, einer Universitätsstadt mit hoher Studentenzahl und einem Campus mit nachgemachten gotischen Gebäuden. Berühmt war dort auch die Bigg Market, eine Gasse voller Kneipen, in denen bis in die frühen Morgenstunden gezecht wurde. Vor seinem geistigen Auge sah Brady Frauen in kurzen schulterfreien Kleidern, die auf Stöckelschuhen durch die Nacht wankten und von verschlagen aussehenden Typen in ärmellosen T-Shirts taxiert wurden – ungeachtet der Minusgrade, die hier im Nordosten das ganze Jahr über herrschten.
    Aber in dem Punkt konnte auch der Badeort Whitley Bay mithalten, das wusste Brady zur Genüge. Für Junggesellenpartys war dieser verwahrloste Ort inzwischen ebenso beliebt wie Amsterdam.
    »Gates wartet zurzeit am Tatort auf Sie«, betonte Conrad. Offenbar hatte er den strikten Befehl, Brady unverzüglich dorthin zu schaffen.
    »Ich muss nur noch meine Schlüssel suchen.« Brady begann, in der ungeöffneten Post und anderen abgelegten Gegenständen auf dem Marmorsims zu kramen.
    Conrad ging ihm hinterher und warf einen verstohlenen Blick in die Runde. Er hatte das Haus gekannt, als Claudia noch dort wohnte, und schien fassungslos, als er den verkommenen Zustand sah. Es roch nach verschimmelnden Essensresten und abgestandenem Alkohol, doch am bedrückendsten war der Eindruck einsamer Verzweiflung.
    Zuletzt hatte Conrad seinen Chef kurz nach dessen Operation im Krankenhaus gesehen. Unglücklicherweise hatte er miterlebt, wie Brady ausgerastet war, als Claudia ihm die Scheidungspapiere ausgehändigt hatte. Das war vor sechs Monaten gewesen. Danach hatte Brady sich geweigert, Conrad zu sehen. Hatte ihm keine Besuche erlaubt. Und als er sich selbst entlassen hatte und wieder zu Hause war, ging er nicht an die Tür, wenn Conrad klingelte, meldete sich nicht am Telefon und beantwortete keine E-Mails. Conrad hatte sich Sorgen gemacht, aber er konnte nachvollziehen, dass Brady für niemanden ansprechbar war, nachdem seine Frau ihn verlassen hatte.
    Brady entdeckte seine Schlüssel und humpelte hinaus in den Flur, Conrad im Gefolge.
    »Ist ja schon ein Weilchen her, seit wir uns gesehen haben«, wagte Conrad zu sagen. Den Vorfall im Krankenhaus ließ er lieber unerwähnt.
    »Ich war beschäftigt«, entgegnete Brady.
    Beide wussten, dass es eine Lüge war.
    Brady fühlte sich peinlich berührt. Seit sechs Monaten hatte er Conrad gemieden und die Nachrichten, die er hinterlassen hatte, ohne sie anzuhören oder zu lesen, gelöscht. Scheiß drauf, dachte er. Conrad war derjenige, der sich schuldig fühlen sollte, nicht er. Von einem früheren Kollegen hatte er erfahren, dass Conrad um seine Versetzung gebeten hatte. Zwar war es nur ein Gerücht, aber Brady empfand es als Verrat, schließlich hatten er und Conrad einiges zusammen durchgemacht. Darüber hinaus hatte er gehört, Conrad habe Angst, Brady könne vor einer Art Nervenzusammenbruch stehen, und das fand er noch um einiges schlimmer als den Verrat. Dass Conrad einen neuen Teampartner suchte, konnte er verstehen, das hätte er an dessen Stelle auch getan. Erst recht nach dem, was Conrad miterlebt hatte.
    »Und?«, begann Brady. »Haben Sie Ihre Versetzung schon beantragt?« Er hasste sich für diese Frage, kaum dass sie ihm entschlüpft war.
    Verblüfft sah Conrad ihn an.
    »Nein, Sir. Wie käme ich dazu?«
    »Das müssen Sie doch wissen, nicht ich.«
    »Entschuldigung,
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