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Engelsgesicht

Engelsgesicht

Titel: Engelsgesicht
Autoren: Jason Dark
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verändert hatte, und er fühlte sich in diesem Halbdunkel irgendwie geborgen.
    Die dunklen Bankreihen, die grauen Wände, die wenigen Bilder, der schmucklose Altarstein, das große Kreuz dahinter, die kleine Orgel an der Seite – das alles war ihm so vertraut, es gehörte einfach zu Cliff Lintock’s Leben wie seine Frau und seine neunzehnjährige Tochter Silvia.
    An sie hatte er in der letzten Zeit öfter denken müssen. Silvia lebte, die anderen beiden Mädchen nicht. Sie waren Bekannte von Silvia gewesen, und als man sie kurz hintereinander gefunden hatte, da war der gesamte Ort in tiefe Agonie gefallen. Die Bewohner waren sprachlos gewesen. Niemand hatte überhaupt so richtig begreifen können, was hier eigentlich vorgefallen war. Zwei junge tote Frauen. Aber noch schlimmer war beinahe, wie sie ums Leben gekommen waren.
    Ausgeblutet...
    Immer wenn Pfarrer Lintock daran dachte, rann ein kalter Schauer über seinen Rücken. Er konnte es nicht begreifen. Sein Gehirn weigerte sich einfach, dies zu fassen, und er merkte, wie die äußere Kälte auch nach innen drang und ihn leicht vereiste.
    Wenn er allein war, musste er daran denken. In der letzten Zeit war er oft allein gewesen, denn seine Frau Lisa hatte ihn verlassen. Sie hatte einfach nicht mehr gewollt. Es war ihr zu fade geworden, zu langweilig, und sie war ihren eigenen Weg gegangen. Das hatte sie ihm zum Abschied erklärt, der schon einige Wochen zurücklag. In dieser Zeit hatte er keine einzige Nachricht von ihr erhalten. Er wusste nicht einmal, ob sie noch auf der Insel war. Das Festland hatte sie schon immer gelockt. Ob sie dort allerdings ihre Erfüllung finden würde, stand für Cliff Lintock in den Sternen.
    Kurz vor der Abreise hatte er aufgrund ihrer persönlichen Veränderung geraten, zu einem Psychotherapeuten zu gehen, um sich von ihm beraten zu lassen.
    Er war ausgelacht worden, und seine Frau hatte sich wieder in ihr Zimmer verkrochen, um dort allein sein zu können. Bis sie dann so Knall auf Fall verschwunden war, was im Ort natürlich für Gerede gesorgt hatte.
    Aber ihm war noch Silvia geblieben, auch wenn sie eine Generation trennte und Silvia es ebenfalls langweilig in Wingmore fand. Besonders den Job in der Bäckerei fand sie zum Kotzen. Irgendwann wollte auch sie aus Wingmore verschwinden, das hatte sie ihrem Vater schon angekündigt.
    In der letzten Zeit allerdings nicht. Ob das mit dem Abtauchen der Mutter zusammenhing, wusste der Pfarrer nicht. Es konnte sein, aber er wollte sie auch nicht fragen. Silvia sollte selbst das Vertrauen zu ihm aufbauen.
    Cliff Lintock hatte die letzte Reihe erreicht, sah, dass auch hier alles in Ordnung war, und drehte sich um, weil er die beiden Pulte rechts und links der Eingangstür kontrollieren wollte. Dort lag das Informationsmaterial bereit. Kleine Broschüren, deren Inhalte sich mit kirchlichen Themen beschäftigten. Auch ein Blatt für die Jugend oder mehr oder weniger wichtige Informationen. Auch über die Kathedrale von Canterbury, denn die Stadt lag nicht eben weit von Wingmore entfernt.
    Es war alles in Ordnung in der Kirche. Lintock hätte zufrieden sein können. Er war es trotzdem nicht, denn in seinem Innern hatte sich eine Unruhe ausgebreitet, die ihm überhaupt nicht gefiel. Er konnte keinen konkreten Grund nennen, er dachte nur daran, dass diese beiden schrecklichen Morde passiert waren und dass möglicherweise noch welche folgen würden.
    Das wäre fatal gewesen, aber selbst die Polizisten hatten nichts ausgeschlossen. Es stand für sie nicht einmal fest, ob sich die beiden jungen Mädchen selbst das Leben genommen hatten oder ob sie umgebracht worden waren.
    Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte er die Polizisten festgekettet, aber nach ihm ging es nicht. Die Beamten hatten nichts herausfinden können und den Fall erst einmal auf Eis gelegt. Dass die Presse nicht eingeweiht worden war, empfand der Pfarrer als einzigen Vorteil in dieser ansonsten schlimmen Zeit.
    Es gab zwei Eingänge. Der eine, der offizielle und einen anderen an der Seite. Dass die Morde hier bei ihm passiert waren, hatte für ihn auch einen kleinen Vorteil. Es kamen wieder mehr Menschen in den sonntäglichen Gottesdienst. Manchmal fragte Lintock sich, ob sich auch der Mörder darunter befand.
    Man konnte den Menschen eben nur auf die Stirn schauen und nicht dahinter.
    Lintock wollte die Kirche durch die Seitenpforte verlassen und in sein Haus gehen. Das war ihm vom Bistum zur Verfügung gestellt worden. Ein kleines
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