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Endlich in Frieden mit den Eltern - und frei für das eigene Leben - Was Menschen bewegt

Endlich in Frieden mit den Eltern - und frei für das eigene Leben - Was Menschen bewegt

Titel: Endlich in Frieden mit den Eltern - und frei für das eigene Leben - Was Menschen bewegt
Autoren: Manfred Scherrman
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Zeit und Interesse, für die anderen nicht. Für die jüngste Schwester und deren Kinder sindsie immer da: »Da werden wir mehr gebraucht, du kommst ja gut alleine zurecht.« Oder der Kontakt zwischen Mutter und ältestem Bruder ist ganz eng; die anderen Geschwister bekommen mehr zufällig mit, was da alles läuft.
    Schmerzlich ist es auch, wenn zwar Kontakt besteht, es aber immer nur um die Eltern geht, wie bei Frau R.: »Wenn ich bei meinen Eltern anrufe, ist natürlich meine Mutter am anderen Ende der Leitung. Am Ende des Gesprächs weiß ich genau, was sie so alles machen, welche alten und neuen Beschwerden sie haben, wie unmöglich sich dieser oder jener wieder benommen hat, wie schwierig doch alles ist, auch mit dem Papa. Nachfragen, wie es mir geht oder was bei uns gerade läuft, das erlebe ich nie. Und wenn ich selbst anfange zu berichten, nimmt sie das als Stichwort, gleich wieder von sich zu erzählen, wie das bei ihr früher war und was sie da gemacht hat. Wenn ich dann meinen Vater ausnahmsweise mal an die Strippe bekomme, ist das auch nicht wirklich befriedigend. Er redet kaum etwas, auch er fragt nicht nach, und das Gespräch ist dann schnell zu Ende.«
    Frau R. hat schon gar keine Lust mehr anzurufen, meldet sich aber dennoch früher oder später wieder, vor allem weil sie sich Sorgen um ihren Vater macht. Dass ihre Mutter mal von sich aus anruft, diese Hoffnung hat sie schon aufgegeben, ebenso wie alle Versuche, ihr Verhalten zu verstehen. Seit einiger Zeit beschäftigt sie eine Frage ganz besonders: Wenn andere Kontakte so einseitig laufen würden, hätte sie schon längst einen Schlussstrich gezogen – warum nur schafft sie das bei den Eltern nicht? Hängt das mit ihrer christlichen Erziehung zusammen? »Du sollst Vater und Mutter ehren«, hat sie das so stark verinnerlicht? Wenn sie sich nicht mehr oder nur zu besonderen Anlässen melden würde, hätte sie ein schlechtes Gewissen, wie wenn sie ihre Tochterpflichten vernachlässigen würde. Gerne würde sie es so machen wie ihre Freundin, die aufgrund ähnlicherErfahrungen bei ihrer Mutter einfach nicht mehr anruft: »Wenn etwas Wichtiges mit Vater ist oder sonst etwas Ernstes, wird sie sich schon melden. Und wenn nicht, kann ich es auch nicht ändern. Meinen Bruder gibt es schließlich auch noch.«
    Immer noch das Kind sein, das kann also Unterschiedliches bedeuten: Im einen Fall behandeln die Eltern ihre erwachsenen Kinder weiterhin so, als ob sie noch klein wären oder noch daheim leben würden. Diese sind jedoch erwachsen und verstehen sich auch so und möchten über ihr Tun und Lassen selber bestimmen. Sie sind »selber groß«, und es wäre ihnen ganz recht, wenn die Eltern sie zwar im Blick hätten, sich aber nicht einmischen würden.
    Im anderen Fall haben die Eltern das Kind nicht oder sehr wenig im Blick, aber gerade das ist dem erwachsenen Kind ein Problem – es möchte mehr von den Eltern, als diese ihm geben. Es leidet darunter, dass es offenbar nicht wichtig für die Eltern ist. Aber war es denn überhaupt mal wichtig? Auch in einem solchen Fall sind die Eltern sich meist treu geblieben. Es war schon immer so, dass die Mutter sich eigentlich nur um sich selbst drehte und das Kind sich allein gelassen fühlte, während der Vater kaum etwas sagte. Auch hier erfüllte sich die Hoffnung nicht, dass sich die Beziehung zu den Eltern zum Guten wenden würde.
    Schauen wir auf das Verhalten der Eltern, erscheinen diese beiden Formen von Eltern-Kind-Beziehungen extrem verschieden. Nehmen wir jedoch die Kinder in den Blick, zeigt sich eine entscheidende Gemeinsamkeit: In beiden Fällen gelingt es den erwachsenen Kindern trotz aller Bemühungen nicht, ihre Beziehung zu den Eltern »souverän und freundlich zu gestalten«, wie es die Journalistin Barbara Dobrick einmal formuliert hat. Grund dafür ist, dass sie sich noch nicht wirklich von den Eltern abgenabelt haben. Das Bedürfnis nachAnerkennung und Lob von den Eltern, der Wunsch, sie sollen sich für mich und mein Leben interessieren, die innere Ausrichtung auf das, was die Eltern tun und sagen, all das ist Ausdruck einer noch nicht vollzogenen Ablösung.
    Wenn ich wirklich abgenabelt bin, kann ich mich gelassen abgrenzen. Ich kann mir in wirksamer Weise Respekt verschaffen. Ich kann es aushalten, dass mein Vater etwas grundlegend anders sieht als ich, dass es an bestimmten Punkten unweigerlich zu einem Konflikt mit der Mutter kommt und dass zeitweise Funkstille herrscht. Ich bin nicht mehr
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