Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Elsas Küche: Roman (German Edition)

Elsas Küche: Roman (German Edition)

Titel: Elsas Küche: Roman (German Edition)
Autoren: Marc Fitten
Vom Netzwerk:
die Pedale! Sonst spring ich ins Wasser und schwimm ans Ufer.«
    Das konnte der ritterliche Kritiker unmöglich zulassen. Er dachte an seine Mutter und an Madame Isabelle, die enttäuscht den Kopf schütteln würden. Er zuckte zusammen, holte Atem und strampelte. Der Schwan glitt zuerst langsam und dann immer schneller dahin. Elsa trat ebenfalls mit aller Kraft in die Pedale. Er wunderte sich über ihre wilde Entschlossenheit. Sie nahmen Kurs auf eine bestimmte Stelle am Ufer, die sie im Auge hatte. Der Kritiker konnte sich diesen Sinneswandel nicht erklären. Zuvorhatte er das Gefühl gehabt, dass sie sich für ihn erwärmte. Vielleicht war es nur meine Einbildung , dachte er. Er wusste es nicht. Doch sie hielt ihn weiter am Arm, und deshalb beschloss er, noch einen Tag länger in Délibáb zu bleiben.
    »Er geht gleich fort«, sagte sie flehentlich, »bitte treten Sie schneller.«
    Der Kritiker nickte und wischte sich den Schweiß mit einem Taschentuch von der Stirn. Er trat kräftiger in die Pedale. Er versuchte festzustellen, wen sie am Ufer ins Auge gefasst hatte, sah aber nur Leute, die sich zu vergnügen schienen. Vom Boot aus wirkten sie glücklich. Er konnte sich nicht erklären, wer es sein könnte – ein ehemaliger Liebhaber? ... oder ihr Freund? Er suchte das Ufer nach jemandem ab, der möglicherweise sein Rivale war.
    Das Tretboot war jetzt in Ufernähe.
    Als sie nur noch zwei Meter vom Ufer entfernt waren, sprang Elsa aus dem Boot ins Wasser.
    »Was machen Sie denn?«, fragte der Kritiker völlig verdutzt. »Was ist los?«
    Elsa deutete auf jemanden und watete durchs Wasser.
    Der Kritiker sah eine Horde Straßenjungen, unter denen ein Kind war, das mit dem Rücken zu ihnen saß und blaue Zuckerwatte aß.
    Elsa watete zurück an Land und schrie: »Pisti!«
    Der Junge drehte sich um, sah sie, wurde kreidebleich und machte sich mit den anderen Jungen davon.
    »Pisti!«, rief sie ihm hinterher und streckte die Hand aus.
    Pisti sprang weiter nach rechts und links, doch sie blieb ihm dicht auf den Fersen. Ein paar Spaziergänger sahen ihnen zu.
    »Sie ist ja triefnass«, sagte eine Frau.
    »Wahrscheinlich haben sie sie ins Wasser geschubst und beklaut«, sagte ihr Mann.
    »Passt auf Taschendiebe auf!«, riefen sie.
    Elsa und Pisti waren jetzt im Wald. Der Kritiker stieg aus dem Boot und tapste hinter ihnen her.
    »Elsa«, rief er ihr zu. »Was um aller Welt machen Sie da?«
    Elsa und Pisti rannten weiter, sie hatte ihn fast eingeholt. Der Wald wurde dichter, und als der Junge sich nach ihr umdrehte, stolperte er über eine Wurzel. Sie streckte noch einmal die Hand nach ihm aus, und kurz bevor er hinfiel, bekam sie ihn an der Schulter zu fassen und hielt ihn fest. Sie drehte ihn um und betrachtete ihn. Er sah kerngesund aus.
    Sie jubelte innerlich vor Freude. Er war gesund! Seine Wangen waren voller Zuckerwatte, und er sah erschrocken aus, aber er war am Leben und gesund!
    »Pisti«, sagte sie überlaut. Sie sah, dass sie ihm Angst einjagte, und sagte noch einmal leiser: »Pisti.« Sie streichelte seinen Kopf.
    Er legte die Hände schützend vors Gesicht.
    »Hau mich nicht, Restaurantmadam. Hau mich bitte nicht!«, flehte er.
    »Pisti«, sagte sie wieder hilflos. Der Schock saß tief. Ihr einziger Gedanke war, dass er gesund aussah. Kerngesund.
    »Ist alles in Ordnung?«, fragte sie. »Geht’s dir gut?«
    Der Kritiker kam jetzt keuchend näher. »Da ist der dicke Mann!«, schrie Pisti. Er dachte, er sei erledigt. »Der dicke Ausländer!«
    Der Kritiker stolperte schnaufend an ihnen vorbei und setzte sich auf einen Baumstumpf. Er tupfte sich die Stirn mit einem Taschentuch ab. Dann erkannte er den kleinen Jungen wieder, der ihn beim Abendessen in Elsas Restaurantgestört hatte. Was wollte Elsa von diesem Kind? Zumindest war sie keinem Liebhaber hinterhergerannt. Das wäre, wie er fand, peinlich gewesen. Pisti sah ihn wachsam an, während Elsa ihn weiter untersuchte und seinen Kopf streichelte.
    »Mir geht’s gut, Restaurantmadam«, sagte er und versuchte, sich loszumachen. »Es war nur ein Kratzer. Der Arzt hat gesagt, es ist nichts Schlimmes.«
    Elsa zog ihn an ihre Brust.
    »Es tut mir so leid, Pisti«, sagte sie. »Entschuldige bitte.«
    »Du bist mir also nicht böse?«, fragte er.
    Sie schüttelte den Kopf.
    Der Junge befreite sich schließlich aus ihrer Umarmung. Er verstand nicht, wovon sie redete und warum sie so froh war, ihn wiederzusehen, doch als ihm klar war, dass ihm keine Gefahr drohte, wurde
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher