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Elixir

Elixir

Titel: Elixir
Autoren: H Duff
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gefühlt, wenn sie gedacht hätte, ich wäre nur ihretwegen ausgegangen. Zurück im Hotel stürzte ich mich auf den Zimmertresor und holte meine Kamera heraus.
    Seit ich denken kann, ist Fotografieren eine Art Zuflucht für mich. Mein Vater hat mir meinen ersten Fotoapparat geschenkt, als ich vier Jahre alt war. » Denk immer daran, Clea«, hatte er gesagt, » Fotos machen ist eine große Verantwortung. In vielen Kulturen glaubt man, dass eine Fotografie einem die Seele rauben kann.«
    Wie immer hing ich ehrfürchtig an seinen Lippen und glaubte ihm jedes Wort, ohne es zu hinterfragen– sogar als Mom gelacht und die Augen verdreht hatte. » Oh Grant, sieh sie dir an«, meinte sie und in ihrer Stimme schwang grenzenlose Liebe für uns beide mit. » Ihre Augen sind so groß wie Untertassen. Sag ihr, dass es nicht wahr ist.«
    » Es ist nicht wahr«, sagte Dad, doch er stand mit dem Rücken zu Mom und sie konnte nicht sehen, was er tat: nämlich die Finger kreuzen. Ich grinste und fand die Verschwörung mit Dad großartig.
    Von der Minute an, da er mir die Kamera geschenkt hatte, war ich vernarrt in sie. Das gefiel meinem Vater, denn er war selbst ein großer Fotofan und unheimlich stolz, dass ich Stunden um Stunden in seinem Studio im Keller zubringen konnte. Mom und er behaupteten einhellig, dass ich ein absolutes Mamakind war, bevor das mit dem Fotografieren anfing, aber daran kann ich mich nicht mehr erinnern. In meiner Erinnerung sehe ich immer Dad und mich, wie wir uns unterhalten, lachen und alles miteinander teilen, während wir unsere Aufnahmen zusammen in Kunstwerke verwandeln.
    Rayna muss immer darüber schmunzeln. Angesichts meiner Abneigung gegen die Paparazzi findet sie es verrückt, dass ich so an meinen Kameras hänge. Aber für mich ist das, was ich mache, das genaue Gegenteil dessen, was die Paparazzi tun. Die wollen nur die Oberfläche zeigen und sind schon zufrieden, wenn ein Schnappschuss scharf ist. Ich dagegen versuche einzufangen, was sich unter der Oberfläche verbirgt. Jedes Gesicht, jede Landschaft, jedes Stillleben erzählt eine Geschichte. Jedem Motiv wohnt eine Seele inne und wenn meine Kamera und ich eine echte Verbindung aufnehmen, wirklich richtig zusammenarbeiten, dann können wir sie einfangen.
    In meinem Hotelzimmer legte ich den Fotoapparat vorsichtig aufs Bett, um mir noch etwas gegen die Kälte überzuziehen. Auf die Reise hatte ich meine Lieblingskamera mitgenommen– eine DSLR , die mir mein Vater gekauft hatte, kurz bevor er zu seiner letzten Reise für GloboReach aufgebrochen war. Inzwischen sind neuere und vermutlich auch bessere Modelle auf dem Markt, aber diese hier ist wie für mich gemacht. Schnell schlüpfte ich aus dem Cocktailkleid und den Highheels und zog eine lange Leggings an, meine Lieblingsjeans, ein Rollkragenshirt, einen dickes Sweatshirt, eine Kapuzenjacke und eine Strickmütze. Keine Handschuhe– Handschuhe bilden eine Barriere zwischen mir und der Kamera; sie stören unsere Verbindung. So dick eingepackt wie möglich, öffnete ich die Balkontür und trat hinaus. Die Temperatur war unter den Gefrierpunkt gefallen und das schmiedeeiserne Geländer und die Terrassenmöbel waren mit Raureif bedeckt. Ich ließ den Blick über die Dächer schweifen, wohl wissend, dass ich erst wirklich sehen würde, wenn ich durch die Linse schaute. Ich holte tief Luft, kostete den Moment aus und hob dann den Apparat vors Gesicht. Sofort begann ich drauflos zu knipsen. Von hier aus konnte ich alles überblicken: kleine Cafés, Märkte und Bücherstände, die über Nacht unter Folien verpackt waren. Und über allem die atemberaubende Schönheit von Notre Dame, die im Scheinwerferlicht erstrahlte.
    Stundenlang blieb ich auf dem Balkon, fing jedes noch so winzige architektonische Detail, die Straße, die vereinzelten Leute ein, die vorbeiliefen. Ich fotografierte alles und leistete dem Quartier Latin Gesellschaft, bis die Sonne über der Stadt aufging und die Luft gerade genug erwärmte, um mich spüren zu lassen, dass meine Finger völlig taub waren.
    Eine perfekte Nacht; und ich hatte nicht schlafen müssen.
    Ich ging zurück ins Zimmer, wo mich die Hitze wie ein Schlag traf, und dankte mir im Stillen selbst für die weise Voraussicht, mit der ich den Thermostat hochgedreht hatte, bevor ich mit dem Fotografieren angefangen hatte.
    Erst waren meine Hände zu taub, um eine Nummer zu wählen, doch nach zwei vergeblichen Versuchen gelang es mir doch. Ich bestellte beim Zimmerservice
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