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Elfriede im Salon (German Edition)

Elfriede im Salon (German Edition)

Titel: Elfriede im Salon (German Edition)
Autoren: Henry Milk
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Der philosophische Salon, hin und wieder Ort individuellen Scharfsinns und sich gegenseitig antreibender Eloquenz war zu einem Ort kollektiver Dumpfheit und unterschwelliger Erregung verkommen. Dies war der Beweis: Geistige Souveränität war nichts Bestehendes, musste unter besonderen Umständen errungen werden und konnte sich am heutigen Abend endgültig als Illusion erweisen, als selbstgefällige Geschwätzigkeit, die sich in vertrauter, harmloser Umgebung breitmacht, sich an nichts stößt und durch nichts an die Realität gebunden ist, die man vermutlich außerhalb der vier Wände des Salons vorfinden konnte. Die drei Männer bildeten an diesem Abend ein Kollektiv, von dem es kaum lohnt, auf die einzelnen Mitglieder näher einzugehen. Man empfand in unheimlicher Weise ähnlich und ein gemeinsames Bewusstsein mochte sich breitgemacht haben, dass ihr heutiger Exkurs in praktischer Philosophie sie überforderte und ihr Hobby und ihren Salon infrage stellte. Statt gemeinsam Begierde zu erleben, sie auszuleuchten und auszudiskutieren fühlten sie sich in ihrem Salon einer unbekannten, fast bedrohlichen Situation ausgeliefert, für die offensichtlich keine Werkzeuge existierten, kein geistiges Rüstzeug bereitstand. Man war sich schon im Vorfeld darüber bewusst gewesen, dass der heutige Abend eine besondere Herausforderung darstellte. Es sollte kein Urlaub von den herkömmlichen Diskussionen, keine Auszeit hervorgerufen durch Lust sein, nein sie wollten Lust und Geilheit verspüren, ausgelöst durch ein Objekt, beispielsweise durch einen nackten Frauenarsch und wollten, so gut wie eben möglich, über die verspürte Geilheit und ihre Auslöser diskutieren. Wenn die aufkommenden Emotionen es nicht zulassen würden, gleichzeitig erregt zu sein und zu analysieren und zu diskutieren, wollte man zumindest die intellektuelle Arbeit unmittelbar an den vollzogenen Akt anschließen.
     
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    Robert Unmuth sah schon den Verlauf des “Haschisch-Abends” als nicht widerlegbaren Beweis an, dass sie sich mit ihren Diskussionen in einem von der Realität, von der Welt isolierten Türmchen befanden, in dem man es sich bequem eingerichtet hatte. Der Salon gehörte zu ihrer Realität, und er funktionierte insofern, dass er das Leben der in die Jahre gekommenen Intellektuellen angenehmer machte, aber ob ihr Projekt gelingen konnte, vom Salon aus die Realität zu durchleuchten und zu einer gewissen Wahrheitsfindung zu gelangen, war mehr als fraglich. Der heutige Abend konnte gut verdeutlichen, dass auch ältere Herren mit den Tücken des menschlichen Zusammenlebens ihre Probleme hatten und insbesondere ihre eigene Biologie Fallen aufstellte, die sie sich gewöhnlich nicht vorstellen konnten. Der Salon bot im Allgemeinen Verhältnisse, die als entspannend bezeichnet werden konnten. Dazu trug guter Rotwein bei, dessen erste Wirkung es war, dass ihre Zungen sich lösten, sodass diese entspannt Laute formten. Im Laufe des Abends nahm man ein Essen zu sich, dass ihrer Wirklichkeitsbetrachtung eine Trägheit zufügte, die inzwischen auch der Rotwein förderte, wenn auch unter Umständen noch eine hitzige, leidenschaftliche Diskussion geführt wurde.
    Und da gab es noch die aparte Elfriede, die leicht anregend auf die Männer wirkte, eine Inkarnation der Welt, die unmissverständlich klar machte, dass diese mehr als Logik und Analyse bot. Sie war aber auch eine sinnliche Erscheinung, die den Gedanken provozierte, dass man selber nicht mehr ganz so jung war. Elfriede hatte also nicht nur die Aufgabe, zu servieren, sondern auch als sinnliche, erotische b eziehungsweise suberotische Auflockerung zu dienen. Das unterstrich, dass die Treffen im Salon einen hedonistischen Charakter hatten, obgleich es sich um einen gepflegten, fast dezenten Hedonismus handelte, der nur zu gut zu dem Selbstverständnis dieser ergrauten Männer passte; intellektuelle Bürgerliche eben, die lieber einen teuren Rotwein trinken als Bier oder Korn, die sich zu benehmen wussten, so wie die “gute” Gesellschaft es vorschrieb und deren gepflegter milder Hedonismus im Gegensatz zu manch anderen Formen von krassem Hedonismus stand. Man fuhr beispielsweise nicht nachts mit Motorrädern durch die Stadt, um heiße Bräute aufzureißen. Die intellektuellen und gutbürgerlichen Momente ihres Beieinanderseins konnten bei ihnen leicht verdrängen, dass es überhaupt eine Form von Hedonismus
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