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Elfenblut

Elfenblut

Titel: Elfenblut
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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halbes Dutzend Milícia aufgetaucht wäre, um sie in Ketten zu legen. Stattdessen erschien der Wirt und brachte einen dritten Stuhl und eine weitere Flasche Bier. Pia registrierte beiläufig, dass es sich um eine andere Marke handelte als die, die er Jesus und ihr gegeben hatte.
    Hernandez wartete, bis sich der Fettwanst wieder getrollt hatte, drehte den Stuhl um und ließ sich rittlings darauf nieder. Sein Blick wanderte aufmerksam zwischen ihren Gesichtern hin und her, während er einen großen Schluck aus seiner Bierflasche nahm und sich anschließend genießerisch mit der Zungenspitze über die Lippen fuhr. Irgendjemand, dachte Pia, sollte diesem Blödmann einmal sagen, was für ein miserabler Schauspieler er doch war.
    »Was für eine Überraschung«, setzte Hernandez noch einmal an, als er endlich begriff, dass weder Jesus noch sie ihm den Gefallen tun würden, das Gespräch von sich aus zu eröffnen und ihm womöglich einen Vorwand zu liefern, sie auf der Stelle zu verhaften … wofür im Zweifelsfall schon ein Guten Abend ausgereicht hätte. »Ist eine Weile her, dass wir uns das letzte Mal gesehen haben, nicht wahr, Piaschätzchen? Wann genau war das noch mal? Vor zwei Monaten?«
    Sie spürte zwar, dass es ihr gelang, aber es kostete sie all ihre Selbstbeherrschung, ruhig den Kopf zu schütteln und ihn zu verbessern: »Drei, Comandante .«
    Was nicht die Wahrheit war. Vor gut drei Monaten hatten Jesus und sie Hernandez zusammen das letzte Mal getroffen, das stimmte, aber es war gerade einmal sieben Wochen her, dass sie sich morgens aus einem schmierigen Hotelzimmer geschlichen und dabei ein Stoßgebet nach dem anderen zum Himmel geschickt hatte, dass das schmatzende Schnarchen hinter ihr nicht abbrach und Hernandez etwa aufwachte und sie zwang, noch einmal in sein Bett zurückzukommen. Sie hatte Jesus nichts davon erzählt, und Gott möge verhüten, dass er es jemals erfuhr. Er würde Hernandez auf der Stelle umbringen.
    Für einen halben, aber sehr schlimmen Atemzug war sie fast sicher, dass Hernandez sie korrigieren und eine entsprechend anzügliche Bemerkung machen würde, doch dann sah er Jesus an und schien zu demselben Schluss zu kommen wie sie. Er hob nur die Schultern und murmelte irgendetwas, das sich wie: Wie die Zeit doch vergeht oder so ähnlich anhörte, dann zauberte er wieder das Pferdegrinsen auf sein Gesicht und nahm einen weiteren Schluck Bier. »Wie gesagt: was für eine angenehme Überraschung. Aber ich bin auch ein bisschen erstaunt. Hast du dich verlaufen?«
    Pia blickte nur fragend.
    »Du bist auf der falschen Straßenseite«, fuhr Hernandez lächelnd fort.
    »Auf der falschen Straßenseite?«
    Hernandez rutschte halb auf seinem Stuhl um und sah gerade einen Moment zu lange zur Baustelle hin, bevor er sich wieder zu Jesus und ihr umdrehte und einen weiteren Schluck Bier trank. »Auf der falschen Straßenseite«, bestätigte er. Die Hand mit der inzwischen geleerten Flasche deutete auf die Front aus windschiefen Wellblech- und Holzhütten fünfzehn Meter entfernt. »Ich dachte immer, dass ihr euch nur dort drüben richtig wohlfühlt.«
    Gut, er wollte sie provozieren. Aber dazu gehörte schon ein bisschen mehr. Pia lächelte nur.
    »Und was genau führt euch in den anständigen Teil der Stadt?«, stichelte Hernandez weiter.
    Wenn das hier der anständige Teil der Stadt ist, was tust du dann hier?, dachte Pia. Äußerlich völlig ungerührt antwortete sie: »Nichts Besonderes. Vielleicht einmal sehen, wie der anständige Teil der Bevölkerung lebt.«
    Hernandez lachte, aber es klang nicht mehr ganz echt. »Touché«, sagte er. Dann erlosch sein Grinsen wie abgeschaltet. »Ich hoffe doch, ihr seid nicht hergekommen, um Ärger zu machen, Kleines. Es würde mir wirklich leidtun, wenn ich deinen Freund und dich verhaften müsste.«
    »Keine Sorge, Comandante «, antwortete Pia. »Wir wollten nur ein bisschen spazieren gehen, das ist alles.«
    Hernandez sah ein weiteres Mal zur Baustelle hin. Die Anzahl der bunten Schutzhelme hatte weiter abgenommen, aber ein paar Unverdrossene werkelten offensichtlich immer noch vor sich hin. Das Maschendrahttor stand noch auf, und an der Baggerschaufel hing auch noch kein Betonkübel.
    »Also, dann reden wir Klartext, Kleines«, fuhr er schließlich fort, und plötzlich klang er ganz und gar nicht mehr freundlich oder auch nur neutral. »Was genau habt ihr hier zu suchen?«
    »Nichts«, antwortete Pia. »Wirklich, Comandante, wir sind … nur so hier. Wir
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