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Elena - Ein Leben für Pferde

Elena - Ein Leben für Pferde

Titel: Elena - Ein Leben für Pferde
Autoren: Nele Neuhaus
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nicht kannte. Ein Mann mit Glatze und Brille stand neben dem Auto und blickte sich suchend und ein bisschen hilflos auf dem menschenleeren Hof um. Der Mann sah freundlich und harmlos aus und ich hatte keine blasse Ahnung, dass durch ihn eine Katastrophe über alle Menschen auf dem Amselhof hereinbrechen würde, als ich mit dem Fahrrad neben ihm stoppte und ihn höflich grüßte.
    »Kann ich Ihnen helfen?«, fragte ich. Vielleicht war er auf der Suche nach einem neuen Stall für sein Pferd. Neue Kundschaft war auf dem Amselhof immer erwünscht.
    »Ich suche Herrn Ludwig Weiland«, sagte der Mann nun. »Weißt du, wo ich ihn finden kann?«
    »Das ist mein Opa«, erwiderte ich. »Kommen Sie mit.«
    Mittags, wenn die Gaststätte offiziell noch geschlossen war, kochte Oma für die Familie, für Jens und die Mitarbeiter, wie Mama unsere beiden Stallarbeiter Heinrich und Stani nannte.
    Ich schob mein Fahrrad die Rollstuhlfahrerrampe hoch zur Tür der Gaststätte und betrat dieselbe durch die Nebentür, die auch in die Wohnung von Opa und Oma führte. Twix, mein braun-weiß gefleckter Jack-Russell-Terrier, hatte mich natürlich längst kommen hören und erwartete mich ungeduldig. Er jaulte vor Glück und hopste wie ein Flummi, als ich den Flur zwischen Gaststätte und Opas und Omas Wohnung betrat, in dem sein Tagsüberkorb stand. Seitdem ich ihn im vorletzten Sommer halb verhungert und ziemlich übel verletzt auf einem Waldparkplatz gefunden hatte, wo ihn seine Besitzer einfach angebunden zurückgelassen hatten, liebte er mich und folgte mir auf Schritt und Tritt.
    Die Gaststätte war dunkel, die Stühle standen noch auf den Tischen. Kein gutes Zeichen. Oma war in der Küche, wo sie am Herd herumhantierte und leise vor sich hin schimpfte.
    »Hallo, Oma«, sagte ich.
    Der Mann blieb in der Tür stehen.
    »Wo kommst du denn jetzt her?«, brummte Oma missgelaunt. »Heute gibt’s nichts Warmes zu essen. Der Herd ist kaputt.«
    »Ich hab den Bus verpasst«, erwiderte ich. »Weißt du, wo Opa ist?«
    »Irgendwo auf dem Hof. Sie wollten das Stroh abdecken.« Oma drehte sich um. Ihr Blick fiel auf den Mann mit der Aktentasche. Sie stemmte ihre kräftigen Arme in die Seiten und zog eine finstere Miene. »Sind Sie der Servicemann für den Herd, den man mir schon vor drei Stunden herschicken wollte?«
    »Äh … nein«, stotterte der Mann, machte einen Schritt nach hinten und trat dabei auf Twix’ Schwanz. Mein Hund stieß einen markerschütternden Schrei aus, woraufhin der Mann vor Schreck schneeweiß im Gesicht wurde.
    »Herrgott, können Sie nicht aufpassen?«, herrschte Oma den armen Mann an.
    Eigentlich war Oma eine Seele von Mensch, aber oft genug stand sie allein auf weiter Flur mit der ganzen Arbeit, deshalb hatte sie meistens schlechte Laune.
    »Sie können hier warten oder mitkommen«, bot ich dem freundlichen Herrn an, und als er sich eilig für letztere Möglichkeit entschied, ließ ich das Fahrrad stehen und ging, gefolgt von Twix, zu Fuß neben ihm her.
    Der Amselhof war ziemlich groß, deshalb war das Fahrrad mein bevorzugtes Fortbewegungsmittel. Auch Opa, Jens und Papa waren vorwiegend mit dem Fahrrad zwischen Ställen, Koppeln, Haus, Reithallen und Gaststätte unterwegs, Christian neuerdings mit einem Minimoped, das Papa vor ein paar Monaten als Ehrenpreis bei einem Turnier gewonnen hatte.
    Viele Jahre bevor ich geboren wurde, waren Opa und Oma »ausgesiedelt«. Sie hatten im Tausch gegen ihren kleinen Bauernhof mitten in Steinau ein großes Grundstück am Waldrand bekommen und dort den Amselhof gebaut. Nach und nach waren zum Haus, zur Scheune und den Stallungen die erste Reithalle mit der Gaststätte und noch mehr Ställe gekommen. Als Papa und Mama geheiratet hatten, wurde das Haus gebaut, in dem wir wohnten, und später noch eine größere Reithalle und die Reitplätze.
    Auf der Wiese hinter der großen Scheune waren Opa und Heinrich damit beschäftigt, die großen Rundballen Stroh mit Planen abzudecken.
    »Opa!«, rief ich. »Hier ist jemand, der dich sucht!«
    Der Mann hatte offenbar nicht damit gerechnet, über den ganzen Hof marschieren zu müssen. Sein hellgrauer Anzug war vom Regen mittlerweile dunkelgrau geworden.
    »Das ist mein Opa«, erklärte ich dem Mann.
    »Vielen Dank«, erwiderte er höflich.
    Opa kletterte von den Rundballen herunter. Er trug wie üblich seine blaue Arbeitshose, ein altes kariertes Hemd und eine Weste, dazu auf dem Kopf eine ausgeblichene Baseballkappe. Als er nun näher kam,
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