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Elefantengedaechtnis

Elefantengedaechtnis

Titel: Elefantengedaechtnis
Autoren: António Lobo Antunes
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Strickmaschen zählt.
    Der Psychiater beeilte sich, diese günstige Stimmungslage auszunutzen, um heimlich in den Schützengraben des Verbandszimmers zu fliehen. Eine Krankenschwester, die er schätzte und deren ruhige Freundschaft mehr als einmal die zerstörerischen Triebe seiner Seebebenwutanfälle besänftigt hatte, bereitete friedlich die Medikamente für das Mittagessen vor, schüttete identische Smarties auf ein Tablett voll kleiner Plastikgläser.
    – Deolinda, sagte er zu ihr, ich bin ganz unten angekommen.
    Sie schüttelte ihr spitzes, gütiges Schildkrötengesicht:
    – Ist denn dieser Abstieg nie zu Ende?
    Der Arzt hob in pathetischem Bibelflehen die Manschettenknöpfe zur abgeschuppten Mörteldecke, in der Hoffnung, daß die absichtliche Theatralik einen Teil seines wahren Leidens verbergen würde.
    – Sie stehen (hören Sie mir gut zu) zu Ihrem Glück und meinem Unglück vor dem größten Höhlenforscher der Depression: achttausend Meter ozeanische Traurigkeitstiefe, Schwärze glibbrigen Wassers ohne Leben, nur das eine oder andere sublunare
Monster mit Fühlern, und all das ohne Unterseeboot, ohne Taucherausrüstung, ohne Sauerstoff, was ganz offensichtlich heißt, daß ich mich in der Agonie befinde.
    – Warum gehen Sie nicht nach Hause? fragte die Krankenschwester, die ein praktisches Gefühl fürs Leben und die unerschütterliche Gewißheit hatte, daß, auch wenn die gerade Linie nicht zwangsläufig der kürzeste Weg zwischen zwei Punkten sein mag, sie doch zumindest zur Entlabyrinthisierung verschlungener Geister anzuraten ist.
    Der Psychiater nahm das Telefon und bat um eine Verbindung zu dem Krankenhaus, in dem ein Freund arbeitete: Für mich ist der Augenblick gekommen, mich an etwas festzuklammern, beschloß er.
    – Weil ich nicht weiß, weil ich nicht kann, weil ich nicht will, weil ich den Schlüssel verloren habe, erklärte er der Krankenschwester und wußte dabei genau, daß er log.
    Ich lüge, und sie weiß, daß ich lüge, und ich weiß, daß sie es weiß und es ohne Ärger oder Sarkasmus akzeptiert, stellte der Arzt fest. Hin und wieder haben wir das Glück, auf einen Menschen wie sie zu stoßen, der uns nicht trotz unserer Fehler mag, sondern mit ihnen, in einer zugleich mitleidslosen und brüderlichen Liebe, Reinheit von Bergkristall, Morgenröte im Mai, Velazquezrot.
    – Hören Sie, sagte der Arzt, indem er die Telefonmuschel mit dem Ärmel abdeckte, ich kann Ihnen überhaupt nicht sagen, wie sehr ich Ihnen dafür danke, daß es Sie gibt.
    In diesem Augenblick kam klein die Stimme des Freundes ans Telefon, die vorsichtig formulierte:
    – Wer spricht da bitte? (Er stellte sich eine zarte Zange vor, die sanft irgend etwas Zerbrechliches, Kostbares aufnahm.)

    – Ich bin es, antwortete er schnell, denn er spürte, daß er begann, gerührt zu sein. Ich bin ganz unten angekommen, am untersten Grund, ich könnte dich brauchen.
    Der Stille des Telefons entnahm er, daß sein Freund im Kopf die Termine des heutigen Tages abspulte.
    – Ich kann ein Mittagessen absagen, verkündete er schließlich, wir könnten in eines dieser Freßlokale gehen, die du frequentierst, und während des Hamburgers schüttest du mir dann dein Herz aus.
    – Um ein Uhr in den Galerias, beschloß der Psychiater, während er mit dem Blick die Krankenschwester verfolgte, die mit dem Tablett voller roter, gelber und blauer Körnchen, die in ihren Plastikgefäßen zitterten, hinausging. Und vielen Dank.
    – Um ein Uhr, bestätigte der Freund.
    Der Arzt legte den Hörer schnell genug auf die Gabel, um das Geräusch, mit dem sich der Apparat abschaltet, nicht mehr zu hören, dieses unnötige, schmerzliche Klicken, das ihn an bittere Diskussionen erinnerte, die von fehlender Achtung und von Eifersucht genährt waren. Er richtete seine Krawatte, die Charlotte Brontë verrückt hatte, und suchte dabei nach der Stelle, an der sich die beiden Enden des Hemdkragens treffen, als der Gebiß-Napoleon, mit Hunderten von Backenzähnen klappernd, ihn davon in Kenntnis setzte, daß er in die Notfallstation gerufen wurde. Aus dem Badezimmer gegenüber stürzte ein halbnacktes Mädchen heraus, das einen Strauß zerfetzter Zeitungen fest im Arm hielt.
    – Man sollte bei Nélia andere Saiten aufziehen, meinte der Korse mit der Ausbaukinnlade. Die ist nicht mehr zu ertragen. Sie hat mir eben noch gesagt, sie würde gern mein Blut im Sturzbach den Flur der Station runterfließen sehen.

    – Ihre Hinterbacken sind ganz knotig von
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