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Elefantengedaechtnis

Elefantengedaechtnis

Titel: Elefantengedaechtnis
Autoren: António Lobo Antunes
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standzuhalten, am Ende heimtückisch an der Schlinge eines C mit unendlicher Lungenfülle erhängte und somit der Angst vor der Dunkelheit die Dimension eines vom Bleistift der Cellos geschriebenen Rotkäppchens verlieh. Die Erwachsenen hatten damals eine nicht zu leugnende, von ihren Zigaretten und ihren Zipperlein doppelt abgesicherte Autorität, diese beunruhigenden Damen
und Buben eines finsteren Kartenspiels, deren Plätze am Tisch anhand der Position der Arzneimittelschachteln erkennbar waren: Durch das subtile politische Manöver, daß sie mich badeten, während ich sie meinerseits nie nackt sah, von ihnen abgesondert, fand sich der Psychiater mit der Rolle des Beinahstatisten ab, die sie ihm zugedachten, saß am Fußboden des Zimmers mit den Bauklotzspielen, die sie ihren Vasallen als Zerstreuung zubilligten, während er sich nach der Grippe sehnte, die die kosmische Aufmerksamkeit dieser Titanen von der Zeitung zu ihm lenken und sie plötzlich in schlaflose Nächte mit Thermometern und Spritzen verwandeln würde. Der Vater, dem der Duft nach Brillantine und Pfeifentabak vorausging, eine Kombination, die für ihn viele Jahre lang das magische Symbol sicherer Männlichkeit war, trat mit gezückter Spritze ins Zimmer und drückte, nachdem er die Hinterbacken mit dem nassen Wattebauschrasierpinsel gekühlt hatte, eine Art flüssigen Schmerz in sein Fleisch, der sich zu einem stechenden Stein verdichtete: Als Entschädigung gaben sie ihm leere Penicillinfläschchen, denen die Spur eines therapeutischen Duftes entwich, so wie durch die Türritzen verschlossener Dachböden das Aroma von Schimmel und Lavendel vergangener Verstorbener drang.
    Aber er, er, ER, wann hatte bei ihm die Scheiße angefangen? Er blätterte rasch die Kindheit seit dem fernen September der Geburtszange durch, die ihn aus dem uterinen Aquariumsfrieden herausgeholt hatte, wie jemand einen gesunden Zahn aus der Behaglichkeit des Gaumens reißt, er verweilte bei den langen, vom geblümten Morgenmantel der Großmutter beleuchteten Monaten in der Beira, Dämmerungen auf dem Balkon über dem Gebirge, wo er dem leisen, monotonen Fieber
der Grillen lauschte, abschüssige Felder, die von Eisenbahnlinien durchzogen waren, die den herausstehenden Adern auf dem Handrücken glichen, er übersprang die langweiligen, dialoglosen Seiten einiger Sterbefälle alter, entfernter Cousinen, die, vom Rheuma zu Hufeisenverbeugungen gekrümmt, mit den weißen Haarsträhnen die Gichtbeulen der Knie berührten, und bereitete sich gerade darauf vor, mit psychoanalytischer Lupe in der Faust die angsterfüllten Wechselfälle seiner sexuellen Premiere zwischen einer Flasche Permanganat und einer zweifelhaften Bettdecke zu erforschen, die neben dem Kopfkissen noch den Yetiabdruck der Sohle seines Vorgängers aufwies, der zu sehr in Eile gewesen war, als daß er sich mit dem lächerlichen Detail der Schuhe aufhalten konnte, oder zu schamhaft, um auf diesem Altar des Trippers die Socken auszuziehen, als Charlotte Brontë ihn in die augenblickliche Wirklichkeit des Krankenhausmorgens zurückholte, indem sie ihn mit beiden Händen an den Jackenaufschlägen schüttelte und dabei mit den geschickten Nadeln eines unerwarteten Mezzosoprans den dicken freiheitlichen Wollfaden der Marseillaise mit der lokalpatriotischen Strickarbeit eines Fado Alexandrino verwob. Ihr Mund, rund wie ein Serviettenring, zeigte ganz hinten die zittrige Träne des Zäpfchens, das wie ein Pendel im Rhythmus ihrer Schreie ausschlug, ihre Augenlider gingen über den scharfsichtigen Pupillen wie Theatervorhänge zu, die aus Versehen mitten in einem kunstvoll ironischen Brecht herunterrauschen. Die Nylonfäden der Sehnen im Nacken spannten sich vor Anstrengung unter der Haut, und der Arzt dachte, es sei so, als wäre plötzlich Fellini in eines dieser schönen gelähmten Dramen von Tschechow hereingebrochen, in denen gasförmige Möwen vor zurückgehaltenem Schmerz hinter der zitternden
Flamme eines Lächelns verendeten, und daß jenseits der Tür die Angestellten beginnen würden, sich dienstfertig zu beunruhigen, weil sie glaubten, er sei am schwarzen Gummi eines Strumpfbandes erhängt worden. Charlotte Brontë, die die Nase voll hatte, hockte sich auf den Thron der Krankenliege wie jemand, der aus eigenem Antrieb zum unnachgiebigen Stolz des Exils zurückkehrt.
    – Sie riesengroßes Arschloch, artikulierte sie im zerstreuten Tonfall einer Fünfzigjährigen, die mit den Freundinnen redet und dabei die
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