Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Elefantengedaechtnis

Elefantengedaechtnis

Titel: Elefantengedaechtnis
Autoren: António Lobo Antunes
Vom Netzwerk:
merkwürdiges Ventil findet. Die Töchter und das schlechte Gewissen, sich eines Nachts mit einem Köfferchen in der Hand davongemacht zu haben, als er die Treppen der Wohnung hinunterstieg, die er so lange bewohnt hatte, und ihm Stufe für Stufe bewußt wurde, daß er sehr viel mehr als nur eine Frau verließ, zwei Kinder und komplizierte Spinnweben aus stürmischen, jedoch angenehmen, geduldig ausgeschiedenen Gefühlen. Die Scheidung ersetzt heutzutage den Initiationsritus der ersten Kommunion: Die Gewißheit, den nächsten Morgen ohne die einvernehmlich geteilten Toastscheiben des gemeinsamen Frühstücks zu erleben (für dich das Weiche und für mich die Rinde), erfüllte ihn in der Eingangshalle mit Schrecken. Die traurigen Blicke der Frau verfolgten ihn die Treppe hinunter: Sie entfernten sich voneinander, so wie sie sich vor dreizehn Jahren an einem dieser Auguststrandtage, die aus wirren Wünschen und bangen Küssen gemacht waren, im gleichen wirbelnden, brennenden Rückstrom der Gezeiten einander angenähert hatten. Ihr Körper war trotz der Geburten jung und leicht geblieben, und das Gesicht hatte die Reinheit der Wangenknochen und die vollkommene
Nase einer triumphalen Jugend behalten: Neben dieser schlanken, geschminkten Giacometti-Schönheit hatte er sich immer ungelenk und grob in seiner Hülle gefühlt, die in einem witzlosen Herbst zu vergilben begann. Es gab Zeiten, in denen es ihm ungerecht vorkam, sie zu berühren, als würde die Berührung seiner Finger grundloses Leid in ihr wecken. Und er verlor sich immer, trunken vor Liebe, zärtliche Worte in einem erfundenen Dialekt stotternd, zwischen ihren Knien.

Wann hat die Scheiße angefangen? fragte sich der Psychiater, während Charlotte Brontë unbeeindruckt mit ihrer grandiosen Lewis-Carroll-Rede fortfuhr. Wie jemand, der, ohne nachzudenken, die Hand auf der Suche nach dem Trinkgeld einer Antwort in die Tasche steckt, tauchte er den Arm in die Schublade der Kindheit, unerschöpflicher Überraschungskrimskrams, ein Motiv, von dem sein späteres Leben in matter Monotonie verschiedenste Abziehbilder machte, und holte rein zufällig, ganz deutlich in der muschelförmigen Handfläche, sich selber heraus, wie er als kleiner Junge auf dem Topf hockte, vor dem Spiegel des Kleiderschranks, in dem sich die Jackenärmel der Glencheckanzüge seines Vaters, ägyptisch anmutend im Profil aufgehängt, zu weichen Lianen vervielfachten. Ein kleiner blonder Junge, der abwechselnd drückt und beobachtet, dachte er, indem er den leeren Jahren einen Seitenblick gönnte, eine vernünftige Zusammenfassung der vorangegangenen Kapitel müßte lauten: Sie pflegten ihn stundenlang auf seiner Sèvrestasse aus Emaille sitzen zu lassen, in der das Pipi schüchterne Harfentonleitern klimperte, und er redete derweil mit sich selber, in den vier oder fünf Worten seines einsilbigen Vokabulars, das von Lautmalereien und den kleinen Schreien eines verlassenen Seidenäffchens vervollständigt wurde, während sich im Stockwerk darunter der Rüssel des Ameisenbärstaubsaugers raubtierhaft, von der Frau des
Hausmeisters geführt, deren herbstliches Aussehen durch das Ungemach von Gallensteinen betont wurde, die eßbaren Teppichfransen einverleibte. Wann hat die Scheiße angefangen? fragte der Arzt den Jungen, der sich mit seinem Gestotter ganz allmählich auflöste, um einem schüchternen Heranwachsenden mit Tintenflecken an den Fingern Platz zu machen, der an einer Ecke lehnte, die günstig war, um das gleichgültige und lachende Vorbeiziehen der Mädchen aus dem Gymnasium zu beobachten, deren Söckchen ihn mit wirren, aber heftigen Begierden erschütterten, die in einsamen Zitronentees in der benachbarten Pastelaria ertränkt wurden, wo er, bespitzelt durch die strenge Zensur des Wohlverhaltenskatechismus seiner Tanten, in einem Heft Sonette à la Bocage wiederkäute. Zwischen diesen beiden beginnenden Larvenstadien standen wie eine Galerie von Gipsbüsten Sonntagmorgen in menschenleeren Museen, die von Ölgemälden häßlicher Männer und stinkenden Spucknäpfen begrenzt wurden, in denen Husten und Stimmen wie nachts in der Garage widerhallten, regnerische Sommer in Thermalbädern, die in unwirklichem Nebel versunken waren, aus dem mühsam die Umrisse verwundeter Eukalyptusbäume herauswuchsen, und vor allem Opernarien im Radio, die er in seinem Kinderbett hörte, Duette schriller Beschimpfungen zwischen einer Sopranistin mit Fischfrauenlunge und einem Tenor, der sie, unfähig, ihr
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher