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Elefantengedaechtnis

Elefantengedaechtnis

Titel: Elefantengedaechtnis
Autoren: António Lobo Antunes
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einer Pause, die bezweckte, im Arzt die Schulpanik des Nichtwissens sich ausbreiten zu lassen, schlug sie mit Besitzerhand auf ihren Bauch:
    – Das bin ich.
    In ihrem Blick, der den Psychiater verachtete, tauchten plötzlich kleine metrische Striche im Abstand von zwei Dezimetern auf:
    – Ich weiß nicht, ob ich Ihnen kündige oder Sie zum Direktor ernenne; das kommt drauf an.

    – Das kommt drauf an?
    – Das kommt drauf an, was mein Mann meint, der Dompteur von Bronzelöwen, Marquês de Pombal Sebastião de Melo. Wir verkaufen gezähmte Tiere an Statuen, bärtige Rentner aus Stein für Fontänen, unbekannte Soldaten, Lieferung frei Haus.
    Der Mann hörte sie nicht mehr: Sein Körper behielt die diensteifrige, vermeintlich aufmerksame Fragezeichenrundung eines dritten Abfertigungsbeamten bei, die Stirn, in der alle geographischen Gegebenheiten seines Gesichts zusammenliefen wie Passanten zu einem Epileptiker, der sich eidechsengleich auf dem Bürgersteig windet, furchte sich mit aseptischem beruflichem Interesse, der Kugelschreiber wartete auf die dumme Anordnung einer endgültigen Diagnose, doch auf der Bühne der Gehirnwindungen folgten schwindelerregende, wirre Bilder aufeinander, in denen sich die Müdigkeit in den Morgen hineinzog, vom Geschmack der Zahnpasta auf der Zunge und der falschen Werbefrische des Rasierwassers bekämpft, eindeutige Zeichen, sofort instinktiv in der Wirklichkeit des Alltags mit den Armen zu rudern, ohne jeden Platz für den Purzelbaum einer Laune: Seine imaginären Zorro-Projekte zerrannen stets, bevor sie begannen, in dem melancholischen Pinocchio, der in ihm wohnte und ein zögerliches, aufgemaltes Lächeln unter der resignierten Linie seines wirklichen Mundes zeigte. Der Pförtner, der ihn jeden Tag mit beharrlichem Klingeln weckte, kam ihm wie ein Bernhardiner mit einem Fäßchen am Hals vor, der ihn, im Schneegestöber eines Alptraums dem Tode nahe, rettete. Und das Wasser der Dusche spülte ihm, wenn es von den Schultern herunterrann, den Angstschweiß einer hartnäckigen Verzweiflung von der Haut.

    Seit er sich vor fünf Monaten von seiner Frau getrennt hatte, lebte der Arzt allein in einer Wohnung, die mit einer Matratze und einem stummen Wecker dekoriert war, der von Geburt an um sechs Uhr nachmittags gelähmt war, eine Mißbildung, die ihm behagte, da er Uhren haßte, in deren Inneren die tachykardische Feder eines bangen Herzchens schlug. Der Balkon sprang direkt zum Atlantik hinunter, über die Roulettetische des Casinos hinweg, um die herum sich alte Amerikanerinnen vervielfältigten, die es müde waren, barocke Gräber von Königen zu fotografieren, und nun skelettös, mit der schaurigen Gewagtheit abtrünniger Quäker die Sommersprossen im Dekolleté herzeigten. Wenn er auf den Bettüchern ausgestreckt dalag, ohne die Rolläden herunterzulassen, spürte der Psychiater, wie seine Füße das Dunkel des Meeres berührten, das wegen der rhythmischen Erregung, die es bewegte, anders war als das Dunkel der Erde. Die Fabriken in Barreiro schickten den muskulösen Rauch der fernen Schornsteine ins Lila des Tagesanbruchs. Möwen ohne Kompaß stießen verblüfft mit den Spatzen der Platanen und den Tonschwalben der Fassaden zusammen. Eine Flasche Branntwein beleuchtete die leere Küche mit dem Votivlicht eines Zirrhoseglücks. Die Kleider lagen auf dem Boden verstreut, und der Arzt lernte, daß die Einsamkeit den sauren Geschmack von Alkohol ohne Freunde hatte, den man, an den Zink der Spüle gelehnt, direkt aus dem Flaschenhals trinkt. Und er kam zu dem Schluß, indem er den Korken mit einem Schlag mit der flachen Hand wieder einsetzte, daß er dem Kamel ähnlich war, das seinen Höcker vor der Durchquerung einer langen Dünenlandschaft füllt, die es am liebsten nie kennengelernt hätte.
    In solchen Augenblicken, wenn das Leben obsolet und zerbrechlich
wird wie Nippes, welche die Großtanten in den von einer Geruchsmischung aus Katzenpisse und Aufbausirup durchtränkten Zimmern verteilen, um so die winzige Monumentalität der familiären Vergangenheit wiederherzustellen wie Cuvier, als er schreckeneinflößende Saurier aus bedeutungslosen Nagelgliedersplittern schuf, kehrte die Erinnerung an die Töchter in sein Gedächtnis zurück, beharrlich wie ein Kehrreim, den er nicht loswerden konnte, klebte ihm wie ein Stück Heftpflaster am Finger und rief in seinem Bauch einen Eingeweideaufruhr mit Darmgrimmen hervor, in dem die Sehnsucht in einer Botschaft aus Winden ihr
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