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Elefanten vergessen nicht

Elefanten vergessen nicht

Titel: Elefanten vergessen nicht
Autoren: Agatha Christie
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den man sich nicht mehr erinnerte, der sich selbst aber noch sehr gut an einen erinnerte, oder von jemandem, mit dem man keinesfalls sprechen wollte, dem man aber nicht ausweichen konnte. In diesem Fall war es das erste Dilemma, das auf sie zukam; eine große Frau, gut proportioniert, mit weißen Pferdezähnen, auf Französisch hätte man sie als femme formidable bezeichnet. Außerdem wirkte sie sehr herrisch. Offensichtlich kannte sie Mrs Oliver entweder schon oder beabsichtigte, sofort ihre Bekanntschaft zu machen. Letzteres geschah.
    »Ach, Mrs Oliver!«, rief sie mit schriller Stimme. »Was für eine Freude, Sie hier zu treffen! Ich habe es mir schon so lange gewünscht. Ich bete Ihre Bücher einfach an. Mein Sohn auch. Und mein Mann hat immer darauf bestanden, dass wir nie ohne ein paar davon verreisten. Aber kommen Sie, setzen wir uns. Es gibt so vieles, das ich Sie fragen muss!«
    Na, ja, dachte Mrs Oliver, nicht gerade mein Lieblingstyp. Aber sie ist so gut wie jede andere.
    Sie ließ sich in einer Weise, die einem Polizeibeamten angestanden hätte, zu einem kleinen Ecksofa führen, und ihre neue Freundin nahm Kaffee und reichte ihr auch welchen. »So. Da wären wir! Sie werden meinen Namen nicht kennen. Ich bin Mrs Burton-Cox.«
    »Aber ja«, sagte Mrs Oliver verlegen wie immer in solchen Situationen. Mrs Burton-Cox? Schrieb sie auch Bücher? Nein, sie konnte sich wirklich in nichts an sie erinnern. Aber den Namen hatte sie schon einmal gehört. Eine ganz schwache Erinnerung kehrte zurück. Schrieb sie nicht politische Bücher oder so was? Jedenfalls keine Romane, Komödien oder Kriminalgeschichten. Vielleicht eine Intellektuelle mit politischen Ambitionen? Das dürfte nicht schwierig sein, dachte Mrs Oliver erleichtert. Ich lasse sie einfach reden und sage von Zeit zu Zeit nur »Wie interessant!«
    »Sie werden erstaunt sein über das, was ich Ihnen erzählen möchte«, erklärte Mrs Burton-Cox. »Aber aus Ihren Büchern weiß ich, wie mitfühlend Sie sind, wie viel Sie von der menschlichen Natur verstehen. Und ich habe das Gefühl, dass, wenn mir jemand eine Frage beantworten kann, Sie diejenige sind.«
    »Ich glaube wirklich nicht…«, stotterte Mrs Oliver und suchte nach geeigneten Worten, um auszudrücken, dass sie absolut nicht sicher war, ob sie zu dem von ihr verlangten geistigen Höhenflug imstande war.
    Mrs Burton-Cox tippte ein Stückchen Zucker in ihren Kaffee und zermalmte es wie ein Raubtier, das einen Knochen frisst. Vielleicht hat sie auch Elfenbeinzähne, überlegte Mrs Oliver flüchtig. Elfenbein? Hunde hatten Zähne aus Elfenbein und Walrosse und Elefanten auch, natürlich. Riesengroße Stoßzähne aus Elfenbein.
    »Also«, sagte Mrs Burton-Cox da, »das Erste, was ich Sie fragen muss – obwohl ich mir ziemlich sicher bin, dass es stimmt… Sie haben eine Patentochter, nicht wahr? Celia Ravenscroft!«
    »Oh«, sagte Mrs Oliver, angenehm überrascht. Sie hatte das Gefühl, dass sie einem Gespräch über ein Patenkind gewachsen sein würde. Sie hatte viele Patenkinder – Mädchen und Jungen. Es hatte Zeiten gegeben, wo sie sich eingestehen musste, dass sie sich nicht mehr an alle erinnerte. Je älter sie wurde, umso schwieriger wurde es. Obwohl sie ihre Schuldigkeit getan hatte. Als sie noch klein waren, hatte sie ihnen zu Weihnachten Spielzeug geschickt, sie hatte ihre Patenkinder und deren Eltern regelmäßig besucht und die Kinder, während sie heranwuchsen, auch zu sich eingeladen oder sie einmal von der Schule abgeholt und zum Essen ausgeführt. Und dann kam der Höhepunkt: Entweder der Junge oder das Mädchen wurden einundzwanzig Jahre alt, aus welchem Anlass die Patin entweder das Richtige tun musste oder jemand damit beauftragte, oder es wurde geheiratet, und da machte man das gleiche Geschenk oder schickte Geld. Danach entschwanden die Patenkinder meistens in den Hintergrund. Sie reisten ins Ausland, arbeiteten im Auswärtigen Amt, lehrten in fremden Ländern oder kümmerten sich um soziale Angelegenheiten. Jedenfalls verblasste die Erinnerung an sie immer mehr. Man freute sich, wenn man ihnen plötzlich irgendwo begegnete, aber man musste sich dann schon überlegen, wann man sie zum letzten Mal gesehen hatte, wessen Sohn oder Tochter sie waren und aus welchem Grund man eigentlich zur Patin ausgewählt worden war.
    »Celia Ravenscroft«, sagte Mrs Oliver nun gutmütig. »Ja, ja, sie ist mein Patenkind. Stimmt.«
    Nicht, dass nun Celia Ravenscrofts Bild vor ihrem inneren Auge
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