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Eitle Liebe: Wie narzisstische Beziehungen scheitern oder gelingen können (German Edition)

Eitle Liebe: Wie narzisstische Beziehungen scheitern oder gelingen können (German Edition)

Titel: Eitle Liebe: Wie narzisstische Beziehungen scheitern oder gelingen können (German Edition)
Autoren: Bärbel Wardetzki
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waren nur Staffage. Als er eines Tages nach der Jagd an einer Quelle saß, sah er darin ein schönes Antlitz und verliebte sich in diesen bezaubernden Jüngling. Er versuchte, ihn zu umarmen und zu küssen, bis er erkannte, dass er es selber war. »Wehe! Nun ahne ich’s, du bist nur ich selbst; nun seh ich’s, mich täuscht das eigne Bild, ich liebe nur mich selber.« 10 »Von Stund an schaute er verzückt aufs Wasser.« Gebannt von seiner eigenen Schönheit konnte er sich nicht von seinem Bilde trennen, und es erfüllte ihn die Sehnsucht nach der Verschmelzung mit seinem Ebenbild, bis er aus Erschöpfung und Trauer starb. Sein Bildnis war das einzige, was ihm bis zu seinem Tode blieb. An der Stelle, an der sein Leichnam lag, wuchs eine weiße Narzisse mit ihren rotgelben Herzblättern. Aus ihr wird heute noch ein Wundheilmittel destilliert.
    Narziss hat einen unerreichbaren Vater, der als Flussgott dem wässrigen, immer im Fließen begriffenen Element entstammt. Er ist dadurch ungreifbar, bezieht nicht Stellung und ist gewalttätig. Seine Mutter, die junge, leichtfüßige Nymphe, bietet nur wenig umsorgende Mütterlichkeit und idealisiert den Sohn entweder oder macht ihn zum Partnerersatz. Er ist ihrer Launenhaftigkeit und Unbeständigkeit ausgeliefert. Eine mangelhafte Bindung ist die Grundlage seiner Beziehungsstörung und seines Identitätsverlustes. Seine Beziehungen beruhen hauptsächlich auf Bewunderung und Äußerlichkeiten. Ihnen fehlt die Tiefe, die Narziss durch die Ablehnung jeglicher Liebe und Nähe selbst verhindert. Er zieht sich stattdessen – in narzisstischer Manier – auf sich selber zurück.
    Menschen mit narzisstischen Persönlichkeitszügen wissen nicht, wer sie wirklich sind, und bleiben sich immer fremd. Sie kennen nur das Bild von sich, mit dem sie sich identifiziert haben: dieses schöne, selbstverliebte Bild, das nach Perfektion, ewiger Schönheit und größter Attraktivität strebt. Sie sind für alles andere blind und nur auf dieses Bild fixiert. Darüber zerstören sie ihre Beziehungen, können sich aber auch selbst nicht lieben, sondern sich nur selbstverliebt verzehren. Sie lassen eine »blutige Spur« vergangener Beziehungen hinter sich, wobei ihnen die Tragik der ständigen Trennungen und Zurückweisungen von Liebe und Zuneigung oft nicht bewusst ist. Das Streben nach dem schönen Bild und dem idealen Partner steht im Vordergrund, wird zum Inhalt ihres Lebens und zur einzigen Quelle von Selbstwert. Am Ende bleiben sie allein und nicht selten zerbrechen sie an dem Schmerz ihrer Beziehungslosigkeit. Oder sie nehmen Zuflucht in Drogen oder andere Süchte wie Alkoholabhängigkeit, Essstörungen oder »einsame« Internet- und Spielsucht.
    Athene, das weibliche Gegenstück zu Narziss, ist die stolze und schöne Lieblingstochter des Zeus, die sich als Göttin der Weisheit und klugen Kriegsführung durch hohe Leistungen auszeichnet, jedoch emotional Hunger leidet. Sie hat der Sage nach keine Mutter, da sie als männliche Kopfgeburt auf die Welt kam, dem Haupte des Zeus entsprungen. Sie hat keine weiblichen Wegbegleiterinnen, da ihre Mutter von Zeus verschlungen wurde und sie selbst die gleichaltrige Pallas versehentlich bei einem Kampfspiel tötete. Seitdem ist sie in ewiger Treue an den Vater gebunden und männlich identifiziert. Ihre Intellektualität und Leistungsbereitschaft können nicht über die unstillbare Sehnsucht nach Nähe und Anerkennung hinwegtäuschen, die hinter der perfekten Fassade lauert. Sie wird als stolz, frei und einsam beschrieben. Würde sie dazu ein schickes Outfit tragen, beruflich erfolgreich sein und selbstbewusst auftreten, dann wäre sie eine Frau, wie wir sie heute oft unter Karrierefrauen oder Singles treffen.
    Was Narziss, Athene und Menschen unserer modernen Zeit mit narzisstischen Persönlichkeitszügen auszeichnet, sind folgende Charakteristika:
    • Sie wissen nicht, wer sie wirklich sind, und bleiben sich im Grunde immer fremd.
    • Sie sind mehr mit einem Bild von sich identifiziert als mit sich selbst.
    • Sie suchen auch im anderen das ideale Bild, weniger den realen Menschen.
    • Das Gegenüber dient als Spiegel für sie selbst und soll nur das Schöne und Perfekte reflektieren.
    • Ihre Selbstliebe ist nur ein vorübergehendes Verliebtsein in das perfekte Bild, keine tragende Selbstannahme und -akzeptanz.
    • Auch ihre Fähigkeit, andere zu lieben und von ihnen Liebe anzunehmen, ist beeinträchtigt, obwohl sie sich sehr nach Liebe
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