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Eis

Eis

Titel: Eis
Autoren: Erich Kosch
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einer beabsichtigten Reise ins Ausland helfen und intervenieren. Er versprach, daß er das sozusagen gleich morgen erledigen werde. Sie baten ihn um Entschuldigung, daß sie ihn mit Bitten und Interventionen überhäuften, aber er winkte ab und wies alle Dankesäußerungen zurück. „Ich bitte Sie“, sagte er, „was ist das schon? Eine Kleinigkeit nur. Eine Bagatelle!“
    Nun ging man in des Hausherrn Bibliothek hinüber, wo es angenehmer und intimer war. Es wurde Wein gereicht, Kleingebäck und Kaffee. Man saß auf dem Sofa, in Fauteuils, auf niedrigen dreibeinigen Hockern, sogar auf Polstern, die über den dicken Teppich verstreut waren. So wirkte es natürlicher und freier. In den Zeitungen hatten wieder Meldungen über irgendwelche Kämpfe gestanden, und der Hausherr sagte, im Konfl ikt zwischen den Arabern und Franzosen könne er nicht anders, als sich für die letzteren auszusprechen. Was wäre ohne sie, ohne ihre Kultur? Baudelaire, Rimbaud, zählte er auf, Mallarme, Apollinaire und Lautreamont. Und die Araber, fragte er, was haben wir heute von ihnen, außer Datteln in unseren Spezereihandlungen; außer klebrigen, staubigen Datteln, die sie selbst – sie mögen verzeihn – nicht essen? Danach wurde die Frage gestellt, ob der bürgerliche Parlamentarismus endgültig verfallen sei oder ob es auch in den sozialistischen Ländern zur Einführung des Zweiparteiensystems kommen könnte, wie in England zum Beispiel. Einige waren der Meinung, in den skandinavischen Ländern sei im Grunde der Sozialismus bereits eingeführt, und der bissige Schriftsteller fragte wieder leise: Gibt es dort Ware in den Läden, und kann man dort frei bellen? Das ist nach seiner Meinung der beste Maßstab in dieser Sache. Danach war noch vom Nahen und Fernen Osten die Rede, von der Palästinafrage, der gelben Gefahr und dem kalten Krieg. Nachdem so die ganze Welt abgelaust worden war, ging man, eine Stufe tiefer, zu einem Gespräch über, an dem sich der größere Teil der Gäste beteiligen würde.
    „Ein sympathischer und kluger Mensch“, sagte die Frau des Journalisten; „ich weiß nur nicht, wie er sie neben sich dulden kann.“ – „Warum? Was fehlt ihr?“ fragte man. Jemand warf boshaft und zweideutig ein: „Sie singt schlecht“, aber die Frau fügte hinzu: „Aber nein, nicht deshalb. Derart moralisch sind wir nicht gestimmt.“ Der Genosse Direktor fand die Formel: „Sie hat sich nicht entfaltet und weiterentwickelt, vermutlich“, aber die gastfreundliche Hausfrau, die als solche an diesem Abend Güte und Milde hervorkehren mußte, sagte versöhnlich: „Ich bitte Sie!“, und das Gespräch ging auf Malerei und Literatur über. Der Genosse Direktor tat den Mund auf, um sich einzumischen, aber er verschluckte die Frage doch lieber und schloß, es sei weiser, in dieser Sache zu schweigen und andere reden zu lassen. Er nickte darum mit dem Kopf und betrachtete die freigelegten langen und schlanken Beine der Nichte des Hauses, die das Thema schmachtend aufgriff, wie ein Glas, das lange um sie her gekreist war. „Auf mich wirkt das alles heute schon veraltet und konservativ. Ich bin für den abstrakten Tachismus!“ Der Genosse Generaldirektor, in ihre Beine verguckt, hielt es nicht aus. Er beugte sich vor und fragte: „Tachismus, wenn ich richtig gehört habe, was ist das?“ Sie drehte sich um, und die beiden fingen jetzt etwas zu tuscheln an. Der Hausherr ging ein paarmal zu den Bücherregalen und suchte dort, da er kurzsichtig war, lange und blätterte, um nachzulesen und zu beweisen, daß er alles das, was heute abend in diesem Zimmer gesprochen wurde, schon vor fünfzehn oder zwanzig Jahren behauptet habe. Mit seiner kreischenden Stimme überschrie er alle, und seine Frau mußte ihm beim Ärmel ziehn, damit er ein wenig verstummte.
    Stille trat ein; sie mußten verschnaufen. Und um das Gespräch vom toten Punkt wieder irgendwie fortzubewegen, sagte jemand aus dem Winkel, verborgen und unsichtbar:
    „Schlechtes Wetter. Frühling – und es schneit!“
    Sie sahen ihn vorwurfsvoll an, als habe er etwas höchst Ungelegenes gesagt und als sei ihm in einer guten Gesellschaft ein unflätiges Wort herausgerutscht. Der Mensch zog sich noch tiefer in sich selbst und in das Fauteuil hinter sich zurück, und die Nichte, die mit entblößten Beinen auf dem Fußboden saß, raunte dem Genossen Direktor zu, laut genug, daß alle es hören konnten: „Für mich ist, sehen Sie, schon Frühling: in meinem Blut.“ Und dann leiser,
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