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Eis

Eis

Titel: Eis
Autoren: Erich Kosch
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suchte vergebens nach seinem Chef, der den ganzen Nachmittag mit anderen beim Preference saß; als er gegen Abend, der Ordnung halber, in seinem Büro anrief und ihm mitgeteilt wurde: „Es schneit, Genosse Abteilungsleiter“, erwiderte er zornig: „Ich seh doch selbst, daß es schneit. Was ist dabei, daß es schneit?“ – „Ich wollte wissen, ob man die Räumkolonne mobilisieren soll.“ – „Ach was, Kolonne! Bis morgen ist das weggeschmolzen. Sondern, ich geh jetzt heim, such du mich nicht länger“, sagte er und kehrte zu den Karten zurück, mißmutig, denn er hatte verloren.
    Nur die Kinder vergnügten sich noch und sprangen und stäubten durch den Schnee wie junge Hunde. Sie zielten so lange mit Schneebällen, bis sie eine vorübergehende weibliche Person ins Gesicht trafen und diese zu drohen und zu fluchen begann. Jetzt liefen sie auseinander, in die Häuser, und nun schrien die Hausmeister und Hausbewohner hinter ihnen her, weil sie an den Schuhen Schnee in die Flure und Zimmer schleppten. Die Mutter, vor dem Spiegel stehend, eine Haarnadel zwischen den zusammengepreßten Lippen, knöpfte ihr Kleid zu und fuhr derweil fort, sich über den Schnee zu beschweren: „Wer konnte das in dieser Jahreszeit erwarten! Jetzt weiß ich nicht, was ich anziehn soll. Wenn du wenigstens einen Wagen hättest; wie soll ich in diesem Kleid und in diesen Schuhen durch den Schnee?“ Der Mann beeilte sich zu sagen: „Schon gut, schon gut, hör auf, das zu erwähnen. Ich bestell ein Taxi.“ Und dann, während er beim Krawattebinden an das Geld dachte, das es ihn kosten würde, fiel ihm noch ein zu fragen: „Sag mal, ich bitt dich, wie stehn wir mit Heizung?“ – „Warum fragst du? Ein bißchen ist noch da, es reicht für die paar Tage. Das kann doch nicht lang dauern.“
    Sie schlüpfte in den Mantel, er drehte die Telefonscheibe. Sie löschten das Licht und gingen.
    In den Straßen am Rande der Stadt war es dunkel; große, dichte Schneeflocken verschleierten die wenigen Ampeln. Die Autos fuhren langsam, in den Nebenstraßen drückten die Fahrer ununterbrochen auf die Hupe, und bei der Einfahrt in die schmale Skopska-Straße drosselten sie das Tempo noch mehr und hielten vor den Lichtern, die aus allen Fenstern des Hauses strahlten. Die Gäste, wie sie der Reihe nach ankamen, schlüpften aus den Wagen, schlugen den Mantelkragen hoch und wickelten sich in Schals, damit die Flocken ihnen nicht in den Nacken fielen und das Haar befeuchteten. Mit hochgehobenen Kleidern und Hosenbeinen wateten sie durch den angehäuften Schnee. Vor dem Eingang schüttelten sie sich, wie Hunde, die dem Wasser entstiegen sind, und brachen trampelnd in die Diele ein. Und dort, wie sie den Hausherrn begrüßten, Hände schüttelten und sich verneigten, sagten alle der Reihe nach denselben Satz – als wären sie die ersten, die ihn aussprechen – und lachten dazu, als sagten sie da etwas ungewöhnlich Komisches:
    „Glückliches Frühjahr!“
    Die Hausfrau, nachdem sie jedesmal freundlich gelächelt hatte, drückte immer von neuem Verwunderung aus: „Ach ja! Tatsächlich! Sie haben recht: einundzwanzigster März! Es war mir ganz entfallen.“ Und dann, beim Hereingleiten der Gäste, brachte sie ihren Dank zum Ausdruck: „Ach, es ist wirklich schön von Ihnen, daß Sie gekommen sind. Ich hatte schon Angst, Sie würden bei diesem Unwetter nicht aus dem Haus wollen. Bitte nach rechts, fast alle sind schon versammelt.“
    In den Räumlichkeiten ist es strahlend hell und angenehm warm. Es glühen alle Birnen in den Leuchtern, an den Wänden und auf den Tischen unter den Lampenschirmen. Das Licht wird reflektiert vom gelben Parkett, vom Lack auf den Möbeln, von den Vasen, vom Glas über den Bildern, von der Seide über den Polstern. Man vergißt die unangenehme Berührung mit Schnee und naßkalten Ausdünstungen, der Leib ergibt sich der Molligkeit der Fauteuils und der warmen Luft wie einem Bad und setzt sich dem Licht aus wie einem Sonnenbad an der Küste. Alles Äußere bleibt abgezweigt, jenseits der Wände und der’ von Finsternis verhangenen, schwarzen und undurchdringlichen Fenster, wie auf dem Grunde eines tiefen, undurchsichtigen Gewässers, und der erleuchtete Kreis schwebt einsam dahin, wie ein Sonnenfleck durch vollständige Nacht. Das Gespräch bekommt hier etwas Ungehemmtes und Unverbindliches – die Form des Geplauders, bei dem frei, ohne Anstoß und ohne Bezug zur Wirklichkeit, springend von einem Punkt zum andern, in
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