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Einige werden überleben

Einige werden überleben

Titel: Einige werden überleben
Autoren: Algis Budrys
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umsehen?“
    „Schon gut, Custis, jetzt reicht es aber mit Ihrer Sorte von Weisheit!“
    Custis sah unverwandt zu ihm herab. Sein Gesichtsausdruck bewegte sich auf der dünnen Trennungslinie zwischen einem Grinsen und etwas völlig anderem. Nach einem kurzen Augenblick blinzelte Henley und wechselte das Thema. „Wie lange dauert es noch, bis wir zu den Bergen kommen?“
    „Heute abend sind wir dort. Noch ein paar Stunden, dann bekommen Sie die Chance, ein paar Gesetzlose zu sehen.“ Jetzt lächelte Custis.
    „Also, lassen Sie es mich wissen, wenn wir auf irgend etwas stoßen“, sagte Henley und kroch behutsam zu dem Flak-Luk zurück. Er verschwand im Wagen. Einen Moment später fiel ihm das Versäumte ein. Er griff nach oben und zog das Luk zu.
    Custis wandte sich wieder seinem Beobachterposten zu. Sein entspanntes Gesicht wirkte gelassen. Seine Hände hielten unbeweglich das dicke Metall der Panzerung fest. Dann und wann aber runzelte er die Stirn, wenn sein Blick beim Absuchen des Horizonts auf die Berge traf. In diesen Augenblicken streckte er seine Finger, als müsse er sich wieder mit der Struktur von Gußeisen vertraut machen.
    Custis glaubte nicht an die Hoffnungen Henleys. Berendtsens Name wurde dazu benutzt, um Kindern Angst zu machen – wirklichen Kindern und Politikern. Es war dasselbe in der ganzen Republik, und in allen vorausgegangenen Republiken war es dasselbe gewesen. Ständig wurde die silberblaue Fahne geschwenkt oder mit ihr gedroht. Eine Handvoll falscher Berendtsen waren aufgetaucht, die hier und da im gesamten Chicagoer Herrschaftsbereich in den vergangenen dreißig Jahren aus der Legende eines Toten Kapital geschlagen hatten. Manche von ihnen hatte man lächerlich gemacht oder war sonstwie mit ihnen fertig geworden, bevor sie überhaupt richtig angefangen hatten. Mit manchen nicht. Die Vierte Republik nahm ihren Anfang, während die Dritte alle Hände voll damit zu tun hatte, gegen einen Mann zu kämpfen, der sich zum Schluß nur als ein besserer Lügner denn die meisten entpuppt hatte. Im Laufe der Jahre war aus der ganzen Angelegenheit ein bitterer Dauerwitz geworden.
    Tatsache war, die Politiker oben in Chicago konnten es sich nicht leisten, daß ein Geist ihre Grenzen oder das, was sie für ihre Grenzen hielten, abschritt, obwohl niemand genau sagen konnte, wessen Wort südlich von Gary Gesetz war. Tatsache war, daß irgendwie, auf irgendeine Art und Weise, die Sage von Berendtsen über die Berge im Osten gewandert war und die Menschen mit Ungeduld verseucht hatte. Tatsache war, daß Berendtsen ein Mann gewesen war, dem es gelungen war, sich festzusetzen, nachdem die Seuche innerhalb von se chs chaotischen Monaten neunzig Prozent der Erdbevölkerung ausgelöscht hatte. So zumindest hieß es in der Legende. Custis glaubte auch daran nicht so recht.
    Die Tatsache jedenfalls, mit der man leben mußte, war, daß Berendtsen etwas zusammengeschweißt hatte, das sich die Zweite Freie Amerikanische Republik nannte. Damit waren wahrscheinlich der alte amerikanische Osten und die östliche Hälfte des alten Kanada gemeint. Er hatte sie zehn Jahre zusammengehalten, bevor es ihn erwischte. Und niemand hatte es geschafft, genauso erfolgreich zu sein, zumindest hier nicht, wo die großen Seen und die Appalachen Berendtsen davon abhielten, mehr als ein Name oder manchmal eine Fahne zu sein. Es gab Zeiten, als sein Name ihnen Angst machte – und das mit ihm verbundene Versprechen, eines Tages würden bewaffnete Männer über die Berge kommen und ihnen die Befehle eines Fremden aufzwingen. Dazwischen aber lagen Zeiten, in denen die Menschen noch immer an jene vollen zehn Jahre dachten, in denen in den Städten nicht gekämpft worden war. Diese Gedanken ließen sie jedesmal dann vor Zorn grollen, wenn die Lokalpolitiker etwas anstellten, das den Leuten mißfiel. Sie wurden unruhig; und in den Gedanken der Politiker konnte sich keine Ruhe einstellen, wenn sie sich gegenseitig davon zu überzeugen versuchten, daß die Zustände in den Städten beinahe wieder normal seien, die Städte und die Bevölkerung der Ebenen jetzt schon bald wieder Teil einer blühenden Zivilisation sein würden und die Narben der Seuche verheilt seien.
    Es war kein angenehmes Gefühl, von dem Geist eines Mannes heimgesucht zu werden, den niemand kannte. Man konnte mit Sicherheit davon ausgehen, daß Berendtsen hinter jedem Mob stand, der sich auf das Regierungsgebäude zuwälzte und die Männer darin an den dunklen Laternen
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