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Eine Vorhaut klagt an

Eine Vorhaut klagt an

Titel: Eine Vorhaut klagt an
Autoren: Shalom Auslander
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Belohnung für den Mann, weil er seinen revoltierenden Animus so gut beherrscht hat – und dass im Lauf der Jahre, in denen er wieder und wieder ejakuliert (und wieder und wieder und wieder), die Qualität der Spermien absackt: Wenn er dann ich ist, ist nur noch Ausschuss übrig – die Schieler, die mit den vorstehenden Zähnen, die mit Überbiss, die mit Unterbiss, die mit Flossen als Füßen, die mit Schwimmhäuten zwischen den Fingern, die Idioten, die Faulen, die Kriminellen, die Blöden, die Blindgänger, die Knalltüten, die Schmocks. Das wäre ja so typisch Gott.
    Ich war im Arbeitszimmer und schrieb an einigen Non-Fiction-Geschichten, als Orli vorbeikam und es mir sagte.
    – Ich bin schwanger!, schrie sie.
    Wir küssten uns, wir weinten, wir hielten einander umschlungen; sie stellte sich vermutlich rosa Schleifchen, Schlaflieder und Babyschühchen vor; ich dagegen stellte mir vor, wie ich an einem Bett im Kreißsaal kniete, schluchzend, Mutter und Kind tot.
    – Das kommt praktisch nie vor, würde die Krankenschwester dann sagen und sich die blutigen Handschuhe abziehen und in die Tonne werfen. Sie tätschelt mir die Schulter, ich schaue auf. Unsere Blicke begegnen sich. Sie zieht die Nase kraus.
    – Wir brauchen das Zimmer gleich wieder, Sie Ärmster, sagt sie.
    Die Geschichten, an denen ich gearbeitet hatte, drehten sich um mein Leben unter der Fuchtel eines ausfälligen, streitsüchtigen Gottes, eines Gottes, der Millennien von Jahren zuvor auf der falschen Seite des Firmaments erwacht war und bis heute nicht wieder gute Laune hat. Arbeitstitel: Gott geht neben mir und hält mir eine .45er zwischen die Rippen .
    Ich hatte schon über 350 Seiten.
    – Heute Abend gehen wir mal aus, sagte Orli, – feiern.
    Wir küssten uns, wir umarmten uns, wir weinten weiter, und sobald Orli gegangen war, setzte ich mich wieder an den Computer, seufzte und zog sämtliche 350 Seiten meiner Geschichten in den Papierkorb des Geräts.
    Möchten Sie , fragte mich der Computer, die Objekte im Papierkorb wirklich dauerhaft entfernen? Diese Aktion kann nicht widerrufen werden.
    Ich mochte wirklich.
    Es war nicht nötig, Ihn zu reizen. Ich stehe lange genug auf Gottes Schachbrett, um zu wissen, dass jeder Zug vorwärts, jede gute Nachricht – Erfolg! Heirat! Kind! – auch nur ein Göttlicher Schachzug ist, eine Finte, ein Fake, eine Falle; es sieht aus, als käme ich auf dem Brett voran, doch schon bald ruft Gott Schach, worauf die Firma, die mich eingestellt hat, eingeht, die Frau stirbt, das Baby erstickt. Gottes Pick-and-roll. Das Rope-a-dope des Herrn. God was here, God was there, God was everywhere.
    – Ich sage dir, sagt Maus A, – dieser blöde Käse ist verdrahtet.
    – Hörst du wohl auf damit?, greint Maus B. – Du bist so ein Pessi – Patsch .
    Ich frage mich, ob ich, indem ich ein Kind bekomme, nur in ihre Falle tappe – Gottes, meiner Familie, Abrahams, Isaaks, Josefs –, den Kreislauf fortsetze, ein weiteres Kind zum Altar bringe. Seid fruchtbar und mehret euch , spricht der Herr, und danach sehen wir weiter .
    Die Ampel ist noch immer rot, und meine Gedanken schweifen. Sie schweifen auf den Friedhof, sie schlendern ins Leichenschauhaus, sie mäandern nach Bergen-Belsen:
    Mit dem Kind stimmt was nicht.
    Jetzt, genau in diesem Moment, als ich hier vor dieser Ampel sitze, ein abstehendes Augenbrauenhaar zwirble und an der Gummihülle des Lenkrads zupfe, genau jetzt entwickelt sich etwas in meinem ungeborenen Kind nicht so, wie es sollte – dieses Etwas bekommt nicht genügend Was-auch-immer, das Was-auch-immer bekommt nicht genügend Etwas, eine Zelle will sich nicht teilen, eine andere teilt sich zu oft.
    Vor ein paar Tagen habe ich die Arbeit an meinen Gott-Geschichten wieder aufgenommen. Ich weiß, ich lege es drauf an, aber wenn dieses Kind irgendwie am Leben bleibt, möchte ich, dass es erfährt, wo ich herkomme, warum ich ihm nicht beigebracht habe, was sie mir beigebracht haben, warum ich, wie meine Mutter es in einer ihrer letzten E-Mails an mich formuliert hatte, mein Volk verlassen habe. Ich weiß, dass Gott weiß, was ich bislang geschrieben habe, und ich weiß, dass Er weiß, dass Er darin als Arschloch wegkommt – Er weiß auch, dass es nur noch schlimmer sein wird, wenn ich damit fertig bin, und Er tut alles, was Er kann, um mich daran zu hindern, fertig zu werden. Mich töten? Zu plump. Das Kind umbringen, für das ich das schreibe? Das wäre ja so typisch Gott. Ich stelle mir ein hohes
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