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Eine Sündige Nacht

Titel: Eine Sündige Nacht
Autoren: Sandra Brown
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so viele Jahre Witwer gewesen war.
    Schon bald würden eben diese Menschen zu ihr kommen, um Caroline ihr Beileid auszusprechen. Sie schloss kurz die Augen und schauderte bei dem Gedanken. Einzig der Anblick von The Retreat konnte ihre Trübsal ein wenig vertreiben. Bis zu dem Tag, an dem sie starb, würde wohl immer ein Blick auf dieses Haus ausreichen, um sie aufzuheitern. Zuerst hatte sie es als kleines Mädchen gesehen, das durch
die Wälder tobte und durch die Bäume hindurch einen ersten Blick auf das Herrenhaus warf. Seit damals hatte es sie in seinen Bann gezogen.
    Es stand umringt von prächtigen Eichen, deren starke Äste mit Zöpfen aus grauem, kraus herabhängendem Moos sich wie ein Schutzkreis um das Haus legten, als ob sie es beschützend umarmten. Das Haus selber wirkte wie eine kokette Südstaatenschönheit, die ihre weiten Reifröcke um sich herum drapiert hatte. Die Mauern leuchteten stets in einem makellosen weißen Anstrich. Eine Reihe korinthischer Säulen zierten die Hausfront, drei auf jeder Seite der Eingangstür. Sie stützten den Balkon im oberen Stockwerk, der über der imposanten, das Haus umlaufenden Veranda ragte. Weiße Korbmöbel, die nur in den kalten, nassen Wintermonaten hereingeholt wurden, waren auf der Veranda angeordnet. Weiß gestrichenes Gusseisen, das so zart gearbeitet war wie das Muster auf einem Unterrock, umrankte den Balkon. Holzläden in einem kräftigen Grün flankierten alle großen Fenster, die wie Spiegel im Sonnenlicht erglänzten.
    Die Insekten summten aufgeregt, ja geradezu ekstatisch durch das überfließende Blumenmeer, aus dem die Farben so kräftig herausschillerten, dass es in den Augen schmerzte. An keinem Ort der Welt war das Gras grüner als das, das wie ein Teppich um The Retreat wuchs.
    Das Haus wurde von einer Aura der Heiterkeit umgeben, so wie ein magischer Nebelschleier um eine Märchenburg schweben mochte. Solange sie denken konnte, stand das Haus für alles Erstrebenswerte, das es auf der Welt gab. Jetzt wohnte sie darin. Nach dem, was heute geschehen war, war ihr schmerzlich bewusst, dass ihr Aufenthalt nur vorübergehend sein würde.

    Die Einfahrt, auf der sie ihren Wagen zum Stehen brachte, verlief in einem Bogen vor dem Haus. Sie brauchte einen Moment, um ihre Gedanken zu sammeln und die Kraft zu finden, die nächsten Stunden durchzustehen. Es würde kein angenehmer Nachmittag werden.
    Nach der blendenden Sonne draußen kam es ihr in der Eingangshalle schummerig vor. The Retreat war in der typischen Bauweise des Herrenhauses eines Plantagenbesitzers aus der Zeit vor dem Bürgerkrieg errichtet worden. Eine weitläufige, mittig liegende Eingangshalle zog sich vom Eingang bis zur Rückseite des Gebäudes. Auf der einen Seite lagen das Esszimmer für gesellschaftliche Zwecke und die Bibliothek, die Roscoe als Arbeitszimmer benutzt hatte, auf der anderen Seite waren die formellen und privaten Empfangsräume, die durch enorme, in den Wänden versenkbare Schiebetüren voneinander und von der Eingangshalle getrennt wurden. Soweit sich Caroline erinnern konnte, waren diese Türen nie verwendet worden. Eine beeindruckende Treppe wand sich in majestätischem Schwung in den oberen Teil des Hauses und zu den dortigen vier Schlafsuiten.
    Im Haus war es kühl, ein Zufluchtsort bei der hohen, sommerlichen Luftfeuchtigkeit. Caroline schälte sich aus ihrer Anzugjacke, hängte sie an die Garderobe und zupfte an ihrer Seidenbluse, die ihr feucht am Rücken klebte.
    »Na? Was gibt’s Neues?«
    Die Haushälterin, Mrs. Haney, die seit dem Tag, an dem Marlena Winston Roscoe Lancaster geheiratet hatte, in The Retreat lebte, stand im Flur, der an der Decke gewölbt war und ins Esszimmer führte. Sie kam aus der Küche und trocknete ihre großen, rauen Hände, die dem Rest ihrer Erscheinung vollkommen entsprachen, an einem Geschirrhandtuch ab.

    Caroline ging langsam auf sie zu und umarmte sie. Die starken Arme der Haushälterin schlossen sich um die schmale Frau. »So schlimm steht es?«, fragte sie leise und streichelte dabei Carolines Rücken.
    »Noch schlimmer. Krebs. Er kommt nicht mehr nach Hause.«
    Die beiden Frauen lehnten sich aneinander, spendeten sich gegenseitig Trost. Mrs. Haney mochte Roscoe zwar nicht sonderlich, respektierte ihn jedoch seit mehr als fünfunddreißig Jahren. Ihr Mitgefühl galt vielmehr denen, die er hinterließ, einschließlich seiner jungen Witwe.
    Anfangs war Mrs. Haney der neuen Herrin auf The Retreat eher skeptisch und
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