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Eine Minute der Menschheit.

Eine Minute der Menschheit.

Titel: Eine Minute der Menschheit.
Autoren: Stanislaw Lem
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Ziegeln Getötete, von Zügen Überfahrene bis hin zu solchen, die von einem Meteor erschlagen wurden. Ich weiß nicht, ob es uns trösten kann, daß Menschen nur selten von auf die Erde fallenden Meteoren getötet werden. Soweit ich mich daran erinnere, stirbt auf diese Weise pro Minute nur 0,0000001 Mensch. Wie wir sehen, haben die Johnsons solide Arbeit geleistet. Um genauer den Bereich des Sterbens zeigen zu können, haben sie die sogenannte Kreuzkontrollierung sowie die diagonale Methode angewandt. Aus einer Tabelle kann man entnehmen, an welcher Gruppe von Ursachen Menschen sterben, aus anderen, wie sie wegen einer Ursache, zum Beispiel durch elektrischen Stromstoß, sterben. Dank dieser Vorgehensweise wurde der außergewöhnliche Reichtum unserer Todesarten herausgestrichen. Am häufigsten stirbt man durch Berührung schlecht geerdeter elektrischer Installationen, seltener in der Badewanne und am seltensten, wenn man von einem Brückenübergang für Fußgänger auf eine Hochspannungsleitung pinkelt (das ergibt wieder nur eine Bruchzahl pro Minute). Die gewissenhaften Johnsons bemerken in einer Fußnote, daß man bei den durch Folter mit Stromschlägen Umgekommenen nicht genau bestimmen kann, wie viele unabsichtlich (d. h. wenn man ohne Mordabsicht zu starken Strom anwandte) und wie viele vorsätzlich getötet wurden.
    Es gibt auch eine eigene Statistik darüber, auf welche Weise sich die Lebendigen die Toten vom Hals schaffen - von den Begräbnissen mit Leichenkosmetik, Chören, Blumen und religiösem Pomp bis zu einfacheren und billigeren Methoden. Die diesbezüglichen Rubriken sind zahlreich, denn es zeigt sich, daß gerade in den hochzivilisierten Ländern mehr Leichen in mit Steinen beschwerten Säcken, oder die Beine in alte Eimer einzementiert, oder nackt und zerstückelt in Lehmgruben und Seen geworfen werden; oder man lädt sie (die Zahlen werden separat genannt) eingewickelt in alte Zeitungen oder in blutige Fetzen auf großen Müllhalden ab — all dies kommt in diesen zivilisierten Ländern viel öfter vor als in den Ländern der Dritten Welt. Den Armen sind gewisse Methoden, wie man Leichen loswird, unbekannt. Anscheinend sind Informationen über diese Methoden noch nicht zusammen mit der finanziellen Hilfe der entwickelten Länder in die Dritte Welt gedrungen. Hingegen werden in den armen Ländern mehr Neugeborene von Ratten gefressen. Angaben darüber finden wir auf einer anderen Seite, damit sie aber dem Leser nicht unbekannt bleiben, verweist ihn eine Fußnote auf die entsprechende Stelle. Will man das Buch gründlich, Stück für Stück, genießen, so kann man sich des alphabetischen Inhaltsverzeichnisses bedienen, in dem alles zu finden ist.
    Nun kann man irgendwie kaum mehr behaupten, es handle sich nur um eine Anhäufung trockener, nichtssagender, langweiliger Zahlen. Nach und nach wird man von einer abwegigen Neugierde ergriffen, auf wie viele weitere Arten Menschen in jeder Minute unserer Lektüre sterben, und beim Blättern in diesem Buch werden unsere Finger irgendwie klebrig. Selbstverständlich ist es nur Schweiß, es kann ja kein Blut an ihnen kleben.
    Der Hungertod ist mit einer Fußnote versehen, die angibt, daß die betreffende Tabelle (denn es bedurfte einer gesonderten Tabelle, mit Aufschlüsselung nach Alter der Verhungerten; am häufigsten verhungern Kinder) nur für das Erscheinungsjahr des Buches gilt, weil diese Größe schnell, in arithmetischer Progression, wächst. Der Tod an Übersättigung kommt zwar auch vor, ist jedoch 119 ooo Mal seltener. In diesen Zahlen steckt ein wenig Exhibitionismus und ein wenig Erpressung. Eigentlich wollte ich nur einen kurzen Blick in diesen Teil des Buches werfen, aber dann las ich ihn wie unter einem Zwang, so wie der Mensch sich manchmal den Verband von einer blutenden Wunde reißt, um diese Wunde zu sehen, oder mit einer Nadel im Loch eines schmerzenden Zahnes herumstochert. Es tut weh, aber man kann nicht aufhören. Diese Zahlen sind ein geruch- und geschmackloses Mittel, das langsam ins Gehirn einsickert. Und ich habe doch hier fast keine genannt und habe nicht die Absicht, die wichtigsten Kapitel über Marasmus, Altersschwäche, Verkrüppe-lung, über Entartungen der einzelnen Organe auch nur aufzuzählen, widrigenfalls müßte ich Zitate aus dem Buch bringen, statt eine Rezension zu schreiben!
    Eigentlich sind aber diese nach Rubriken geordneten, in Tabellen aufgereihten Zahlenkolonnen über alle Todesarten, diese Leiber von
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