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Eine Leiche zu Ferragosto

Eine Leiche zu Ferragosto

Titel: Eine Leiche zu Ferragosto
Autoren: Diana Fiammetta Lama
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fast genau gegenüber der Kaserne den Berg hinaufschlängelte.
    Nach wenigen Minuten hatte er die Geräusche der Straße hinter sich gelassen. Es war nicht besonders heiß, deshalb spazierte er mit den Händen in den Taschen weiter, einfach der Nase nach.
    Seit er am Vortag die Leiche in den Algen gesehen hatte, schwebte ihm ein Bild vor Augen, das er erst jetzt in der Erinnerung richtig zu fassen bekam.
    Einige Monate zuvor hatte er sich unbedachterweise von Totò Manfredi ins Kino schleppen lassen.
    Salerno, Programmkino, ein japanischer Film von seltener und authentischer Schönheit, stark und direkt wie ein Schlag in die Magengrube, dabei zart und poetisch wie ein Märchen. Das Ganze gewürzt mit ungewöhnlicher, verstörender Erotik, exotisch und grenzüberschreitend, kurz, ein Film, den man gesehen haben musste.
    Er hatte ihn gesehen. In einem kleinen, dunklen Saal, zusammen mit zwanzig anderen Zuschauern, die sich genauso unbehaglich fühlten wie er. Manche schwiegen verblüfft, andere machten aus ihrer Häme keinen Hehl, einer war mit vor den Mund gepresster Hand hinausgerannt.
    Mit dem bestürzten Manfredi an seiner Seite hatte er sich von Anfang bis Ende die Geschichte eines japanischen Malers angetan, der im Straßengraben eine wunderschöne Meerjungfrau findet und sie mit zu sich nach Hause nimmt. Doch in seiner Badewanne darbt sie dahin, und zwischen einer Sexszene und der nächsten beginnt sie sich mit schrecklichen, eitrigen Blasen zu überziehen, die aufplatzen und dabei Säfte und Schleim in allen Farben des Regenbogens absondern. Noch ein paar Sexszenen in perfekter Balance zwischen Grauen und unfreiwilliger Komik, dann stößt die arme Kreatur aus allen natürlichen und unnatürlichen Körperöffnungen vielfarbigen Eiter aus. Der Künstler hält sich wacker: In der Schlussszene hat er sich mit Leinwand, Pinseln und Staffelei bewaffnet und zeichnet ein unsterbliches Porträt der Seejungfrau, indem er die Pinsel direkt in ihre eitrigen Wunden taucht. Ende, Erlösung, alle raus, Manfredi mit gesenktem Kopf und zitterndem Schnurrbart.
    Bei der Leiche, die unter den Algen am Strand von Pioppica versteckt gelegen hatte, konnte man ja an so einiges denken, nicht jedoch an eine betörende Sirene. Sämtliche Spuren von Schönheit, wenn es sie gegeben hatte, waren verschwunden, auf schreckliche Weise ausgelöscht durch den Wahnsinn eines Menschen und die Grausamkeit der Natur.
    Und doch fiel Santomauro beim Gedanken an sie immer wieder eine Sirene ein. Eine Sirene unter den Algen.
     
    Am Ende des Tages war das Rätsel um Gustavo noch immer nicht gelöst, Manfredis Kinder waren mit rotgeweinten Augen zu Bett gegangen und Santomauro saß mit Cozzone in seinem Büro und zog Resümee.
    Es war die Stunde der Dämmerung, wenn alles irgendwie trostlos wirkt, der Tag ist zu Ende, die Dinge aber noch nicht abgeschlossen, die Nacht bricht nur langsam an und alles scheint in einem zeitlosen Limbus zu schweben. Santomauro war niedergeschlagen. Das Büro deprimierte ihn mit der brennenden Schreibtischlampe und den Landkarten, die an den Wänden im Halbdunkel hingen. Cozzone deprimierte ihn mit seinem hässlichen Braver-Junge-Gesicht und der traurigen, sorgenvollen Miene. Die Stille um sie herum deprimierte ihn, nicht einmal die Grillen zirpten, auf der Landstraße regte sich keine Menschenseele, und selbst die streunenden Hunde hielten sich von der Kaserne fern, wo Tiere verschwanden.
    Er zwang sich, seinem Gefreiten zuzuhören.
    »Ich bin mit äußerster Vorsicht vorgegangen, Maresciallo, ohne Beweise kann ich ja niemandem was anhängen. Bancuso und Licalzi teilen sich das Zimmer mit Bartocci, und der hat bis Mittwoch kommender Woche Urlaub. Keiner von beiden geht in naher Zukunft in Urlaub, so dass ich sie unter Kontrolle habe, aber ich glaube einfach nicht, dass einer von ihnen …«
    »Schon gut, Pasquale, ich kann mir das auch nicht vorstellen«, fiel ihm Santomauro ins Wort und erhob sich, die Depression wie einen schwarzen Hut auf dem Kopf, »wir werden sehen, was passiert. Halt die Augen offen.«
    »Und Sie, Maresciallo, bleiben sie nicht zum Abendessen? Ab heute hat Ammaturiello wieder Küchendienst, Sie wissen doch, der war früher Hilfskoch bei Mimì von der Eisenbahn.«
    »Ach ja? Und was gibt’s?«
    »Geschmortes Kaninchen, Maresciallo, wir haben solche Prachtexemplare erstanden, dass einem das Wasser im Mund zusammenläuft«, erwiderte Cozzone und hatte immerhin den Anstand, gleich darauf zu
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