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Eine Lady nach Maß

Eine Lady nach Maß

Titel: Eine Lady nach Maß
Autoren: Karen Witemeyer
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Grundstück mit Schneiderei in Coventry, Texas.

Kapitel 1
    Coventry, Texas
    September 1881
    „ J. T.! J.T.! Ich habe eine Kundin für dich!“ Tom Packard trampelte in seinem unverkennbar ungleichmäßigen Gang die Straße hinunter und winkte wild mit den Armen in der Luft.
    Jericho „J.T.“ Tucker trat mit einem Seufzer vor die Tür des Büros in seinem Mietstall und beobachtete seinen Gehilfen dabei, wie er an der Schmiede und dem Laden des Schuhmachers vorbeistolperte. Irgendwann hatte er aufgehört zu zählen, wie oft er Tom schon daran erinnert hatte, dass er es nicht lauthals verraten sollte, wenn sie einen Kunden hatten. Aber wenn der Junge aufgeregt war, gab es für ihn kein Halten mehr.
    Es war auch nicht seine Schuld. Mit achtzehn Jahren hatte Tom zwar den Körper eines Mannes, doch sein Verstand hatte sich nicht so weit entwickelt. Er konnte kaum lesen und schaffte es nur mit großer Anstrengung, seinen eigenen Namen zu schreiben. Doch er hatte ein Händchen für Pferde, deshalb ließ J.T. ihn bei sich im Stall arbeiten und bezahlte ihn für die anfallenden Arbeiten. Als Gegenleistung gab sich der Junge alle Mühe, zu beweisen, dass er J.T.s Vertrauen verdiente. Er versuchte oft, unter den Bahnreisenden, die eine Meile südlich der Stadt aussteigen mussten, Kunden zu werben. Nach Wochen kleinerer Aufträge schien ihm nun endlich ein guter Fang ins Netz gegangen zu sein.
    J.T. lehnte sich gegen den Türrahmen und zog einen Zahnstocher aus seiner Hemdtasche. Er steckte sich den hölzernen Stab zwischen die Zähne und versuchte, einen möglichst unbewegten Gesichtsausdruck zu zeigen, als Tom taumelnd vor ihm zum Stehen kam. Nur die rechte Augenbraue zog J.T. fragend in die Höhe. Der Junge stützte sich schnaufend auf seine Knie und rang mehrere Augenblicke lang nach Atem. Dann richtete er sich zu seiner vollen Größe auf, mit der er fast schon an seinen Arbeitgeber heranreichte, und seine roten Wangen wurden noch dunkler, als er J.T.s Gesichtsausdruck sah.
    „Ich hab’s schon wieder vergessen mit dem Schreien, stimmt’s? Es tut mir leid.“ Tom ließ den Kopf hängen.
    J.T. ergriff den Jungen bei der Schulter und richtete ihn auf. „Dann denkst du eben nächstes Mal dran. Also, was für eine Kundin ist das?“
    Toms Gesichtsausdruck erhellte sich von einer Sekunde auf die andere. „Diesmal hab ich eine gute gefunden. Sie ist wunderhübsch und hat mehr Koffer und Taschen dabei, als ich je gesehen habe. Ich glaube, es ist genug, um den General vollzukriegen.“
    „Den General , was?“ J.T. rieb sein Kinn, um ein Lächeln zu verbergen.
    Tom hatte jedem Mietwagen einen Namen gegeben. Liebchen hieß der Wagen mit dem verzierten Dach, den sich meistens verliebte junge Männer ausliehen, um ihre Angebetete auszufahren. Den Einspänner hatte er Doc getauft, nach dem Mann, der ihn meistens auslieh. Die einfache offene Kutsche hieß einfach Kutsche und der Frachtwagen war der General . Die Männer in der Stadt mochten sich zwar über den einfältigen Tom lustig machen, aber die Namen, die er sich für die Wagen ausgedacht hatte, waren mittlerweile etabliert. Erst letzte Woche hatte Alistair Smythe einen Silberdollar auf J.T.s Schreibtisch gelegt und nach Liebchen verlangt.
    J.T. verdrängte die Gedanken, verschränkte die Arme über der Brust und schob den Zahnstocher mit der Zunge von einem Mundwinkel in den anderen. „Die offene Kutsche wird es doch sicher auch tun.“
    „Ich weiß nicht.“ Tom ahmte J.T.s Haltung nach, verschränkte die Arme und lehnte sich gegen die Stallwand. „Sie hat gesagt, ihr Zeug wäre ganz schön schwer und sie würde uns etwas extra bezahlen, wenn wir sie direkt zu ihrem Geschäft fahren würden.“
    „Geschäft?“ J.T.s gute Laune war von einem Moment auf den anderen wie weggeblasen. Er ließ die Arme sinken, als sein Blick an Tom vorbei auf das einzige leer stehende Gebäude in Coventry fiel. Gegenüber von Louisa James‘ Wäscherei stand das Haus, das er versucht hatte zu erwerben – vergeblich. J.T. presste seine Zähne so fest aufeinander, dass der Zahnstocher zerbrach. Um sich abzulenken, ging er einige Schritte an der Stallwand entlang.
    „Ich glaube, sie ist Schneiderin“, plapperte Tom weiter. „Es gab ein paar Puppen ohne Köpfe und Arme auf dem Bahnsteig. Sah wirklich komisch aus, wie sie da mittendrin stand, als wollte sie gleich ein Kaffeekränzchen mit ihren kopflosen Freunden abhalten.“ Der Junge gluckste vor sich hin, aber J.T. fand seine
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