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Eine Lady nach Maß

Eine Lady nach Maß

Titel: Eine Lady nach Maß
Autoren: Karen Witemeyer
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Angriff nehmen wollte.
    „Sherman? Pah! Der Junge würde seinen eigenen Namen vergessen, wenn man ihm die Möglichkeit dazu gäbe.“ Miss Victoria zog ein Dokument aus einer Schachtel. Sie legte es vor sich, griff nach dem Tintenfässchen und öffnete es. „Ich habe schon daran gedacht, mein Vermögen für wohltätige Zwecke zu spenden, anstatt es meinem Neffen zu überlassen. Er und seine flatterhafte Frau werden es mit beiden Händen ausgeben.“ Ein tiefer Seufzer entfuhr ihr. „Aber sie sind nun einmal meine Familie. Mittlerweile ist es mir fast egal, was mit meinem Geld geschieht, wenn ich nicht mehr hier bin.“
    Hannah zog schnell und geschickt die Nadel mit dem roten Faden durch den Stoff, konzentriert darauf, dass jeder Stich sorgfältig und genau gesetzt wurde. Es war nicht an ihr, Ratschläge zu erteilen, aber trotzdem brannte es ihr auf der Zunge. Allein mit einem Bruchteil des Ashmontvermögens könnte eine Kirche oder Wohltätigkeitsorganisation viel Gutes tun. Miss Victoria könnte ein paar kleinere Spenden tätigen, ohne dass ihr Neffe auch nur das Geringste mitbekam. Hannah presste ihre Lippen fest aufeinander und behielt ihre unerbetene Meinung für sich.
    Sie war erleichtert, als ein leises Klopfen an der Tür sie davor bewahrte, doch noch eine unüberlegte Antwort zu geben.
    Ein junges Dienstmädchen trat ein und knickste. „Die Post ist da, Madam.“
    „Danke, Millie.“ Miss Victoria nahm den Umschlag entgegen. „Du kannst gehen.“
    Das Geräusch knisternden Papiers erfüllte den Raum, als Miss Victoria den Brief studierte.
    „Nun, ich muss diesem Gentleman Respekt zollen“, murmelte die alte Dame. „Das ist der dritte Brief innerhalb von zwei Monaten.“
    Wieder wendete Hannah das Kleid und beugte sich noch etwas dichter über ihre Arbeit. Sie hoffte, dass Miss Victoria aufhören würde, ihre privaten Dinge mit ihr zu besprechen. Doch es war nichts zu machen. Die Stimme der alten Dame wurde wieder lauter, als sie fortfuhr.
    „Er will eines meiner Grundstücke kaufen.“
    Hannah beging den Fehler und sah von ihrer Arbeit auf. Miss Victorias Augen, vergrößert durch die Brille, die sie trug, forderten eine Antwort von ihr. Doch wie sollte eine einfache Schneiderin sich in einem Gespräch mit einer Dame der Gesellschaft verhalten, die so weit über ihr stand? Sie wollte Miss Victoria nicht beleidigen, indem sie kein Interesse zeigte. Doch zu neugierig zu sein konnte auch missverstanden werden. Hannah mühte sich fieberhaft, eine angemessene Antwort zu finden. „Oh?“
    Das schien genug zu sein, denn Miss Victoria wandte sich wieder ihrer Korrespondenz zu.
    „Als die Eisenbahnstrecken letztes Jahr ausgebaut werden sollten, habe ich einige Grundstücke erworben, die schon erschlossen waren. Ich habe guten Gewinn gemacht, als ich sie wieder verkaufte, doch an genau diesem Grundstück hänge ich.“
    Eine erwartungsvolle Pause entstand. Hannah starrte wieder auf ihre Arbeit und stellte die erste Frage, die ihr in den Sinn kam.
    „Macht der Herr denn kein angemessenes Angebot?“
    „Doch. Mr Tucker bietet einen mehr als ausreichenden Preis.“ Miss Victoria klopfte mit dem Brieföffner auf den Tisch, dann schien sie zu bemerken, was sie tat, und legte ihn beiseite. „Vielleicht zögere ich, weil ich den Mann nicht persönlich kenne. Er scheint bei der Bank in Coventry einen guten Stand zu haben. Sein Ruf dort ist ausgezeichnet, aber in den letzten Jahren habe ich es mir angewöhnt, meine Geschäftspartner persönlich zu treffen. Leider lässt meine Gesundheit das nicht mehr zu.“
    „Coventry?“ Hannah ging rasch auf dieses weniger persönliche Thema ein. „Ich kenne diese Stadt nicht sehr gut.“
    „Das liegt wahrscheinlich daran, dass sie etwa zweihundert Meilen nördlich von hier liegt, am North Bosque River – und sehr klein ist. Ich hatte gehofft, eines Tages dorthin reisen zu können, aber wie es im Moment aussieht, werde ich diese Möglichkeit nicht mehr bekommen.“
    Hannah vernähte einen Faden und schnitt das Ende ab. Sie griff nach ihrer Spule und wickelte neues Garn ab, froh darüber, dass das Thema sich endlich in eine weniger verfängliche Richtung gewendet hatte. Sie hielt die Nadel hoch, um den Faden einfädeln zu können.
    „Was meinen Sie, Miss Richards? Sollte ich dem Mann das Grundstück verkaufen?“
    Die Nadel fiel ihr aus der Hand.
    „Sie fragen mich?“
    „Gibt es hier sonst noch irgendeine Miss Richards? Natürlich frage ich Sie.“ Miss Victoria
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