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Eine Katze im Wolfspelz

Eine Katze im Wolfspelz

Titel: Eine Katze im Wolfspelz
Autoren: Lydia Adamson
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verunsicherten mich. »Das Bild hing schief«, rechtfertigte ich mich.
    Aber sie starrten mich genauso unverwandt an wie vorher. Was hatten die beiden nur? Waren sie scharf auf mich oder eifersüchtig, trauten sie mir nicht, oder waren sie wütend auf mich?
    Schwierig zu sagen. Schließlich waren die beiden keine Katzen.

4
    Wir befanden uns im Keller des großen Gerichtsgebäudes des Staates New York in der Church Street in Lower Manhattan. Das provisorische Quartier von Retro bestand aus sieben düsteren, trostlosen Zimmern. Alles war alt, massig und erdrückend: dunkle Holztäfelung, fleckiger Marmor, massive Eichenholzmöbel, riesige Türen mit altmodischen Messingklinken.
    »Und das hier ist der Computerraum«, sagte Arcenaux und schob mich in ein High-Tech-Paradies. Das Zimmer war mit surrenden, knisternden Terminals, Druckern und Telefonen vollgestopft. Mehrere Leute gingen mit ernsthaften Gesichtern ihrer Arbeit nach und nahmen keinerlei Notiz von uns.
    »Was immer Sie an Informationen brauchen, die Kollegen werden es Ihnen ausdrucken«, sagte Rothwax. Er nahm eine kleine leere Karte von einem der Tische und zeigte sie mir.
    »Sie müssen nur hier eintragen, was Sie benötigen. Den Namen des Opfers, die Art Information, die Sie suchen, und man wird jede mögliche Computerrecherche ausführen, die Sie wollen. Sie brauchen nur zu unterschreiben und Ihre Nummer einzutragen.«
    »Was für eine Nummer?« Ich war verwirrt.
    Arcenaux griff in seine Tasche und holte ein kleines Schild zum Anstecken hervor.
    »Sie sollten das hier tragen«, sagte er. Ich betrachtete das kleine Kärtchen: »ALICE NESTLETON, RETRO-BERATERIN. # 106.«
    Ich heftete das Schild über meine rechte Brust.
    Als ich sie ansah, um ihnen zu bedeuten, daß ich bereit war, die Führung fortzusetzen, schauten die beiden Detectives weg. Offenbar fühlten sie sich schon wieder unbehaglich in meiner Gegenwart. Es mochte an meiner Garderobe liegen. Vielleicht dachten sie, daß ich für meinen ersten Auftritt bei Retro nicht passend angezogen sei. Ich trug ein Kleid, das ich schon seit über zehn Jahren besaß. Es war ein langes Kleid aus dünnem Flanell, weiß mit roten Blumen um den Ausschnitt. Es sah wirklich ein bißchen wie ein Nachthemd mit langen Ärmeln aus.
    Warum ich gerade dieses Kleid ausgewählt hatte, weiß ich nicht. Das letzte Mal hatte ich es getragen, als ich noch verheiratet war - in den Ferien in Southold an der Nordküste von Long Island, wo ich meine Tage mit verträumten Spaziergängen am Strand von Peconic Bay zubrachte.
    Wir begaben uns zum großen Konferenzraum. Bevor wir eintraten, sagte Rothwax: »Ach übrigens, Sie bekommen für Ihre Beratertätigkeit dreihundert Dollar pro Tag, zuzüglich Spesen. Ich zeige Ihnen später, wie Sie die Honoraranträge ausfüllen müssen.«
    Ich nickte. Was sollte ich auch sagen? Hundert Dollar jeden Vormittag für Catsitting bei Abaelard und jetzt diese Beratertätigkeit für Retro - mir winkten unermeßliche Reichtümer.
    Rothwax öffnete die Tür und betrat den Raum. Ich folgte ihm, Arcenaux ging hinter mir. Es saßen bereits ungefähr acht Leute auf Stühlen herum. Das Ganze wirkte wie ein Büro, das zu einem Klassenraum umgestaltet worden ist. Rothwax zeigte auf einige leere Stühle am Fenster und fing an, sich einen Weg dorthin zu bahnen. Wir folgten ihm. Auf dem halben Weg zu unseren Plätzen hörte ich plötzlich: »Miau.«
    Es kam aus der ersten Reihe. Ich erstarrte. Solche kindischen Scherze waren das letzte, was ich erwartet hatte - nicht einmal von einer Gruppe, die vorwiegend aus Polizeibeamten bestand.
    Ich ging weiter zu den Stühlen am Fenster. Jetzt war aus allen Ecken des Raumes lautes Miauen zu hören, und jemand sagte sogar in melodramatischem Tonfall: »Die Katzenlady schlägt zu.«
    Ich drehte mich wütend um. Arcenaux trat zwischen mich und meine sitzenden Widersacher. »Lassen Sie’s gut sein«, flüsterte er, »bitte, lassen Sie’s diesmal gut sein. Jungs sind eben Jungs.«
    »Sie meinen wohl Bullen sind eben Bullen«, gab ich zurück. Er zuckte die Schultern und führte mich zu dem Stuhl am Fenster.
    Kaum daß ich saß, fiel mein Blick auf die Wand über der Tafel, und ich vergaß die unverschämte Begrüßung.
    Dort hingen siebzehn große Fotos. Siebzehn Gesichter. Sie waren faszinierend. Unter jedem Portrait stand mit großen, Buchstaben in kindlicher Schrift der Name des Betreffenden, sein Alter, Geschlecht, Hautfarbe, Beruf, Todesart.
    Das war der Grund, warum ich
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