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Eine italienische Kindheit

Eine italienische Kindheit

Titel: Eine italienische Kindheit
Autoren: Roberto Zapperi
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Erdgeschoss und hatte nichts zu brechen und zu beißen. Seine Unterkunft war so unbequem, dass er es nur wenige Jahre darin aushielt. Kaum hatte er im afrikanischen Krieg etwas Geld zusammengekratzt, verließ er uns. Die behelfsmäßige Portiersloge hatte auf der Seite eine Tür, die auf einen kleinen Hof führte, auf den man auch von einem unserer Fenster aus blicken konnte. Von da aus beobachtete ich ihn, wie er in seinem von Mäusen verseuchtem Loch seine häuslichen Arbeiten verrichtete. Wenn eine Maus in die aufgestellte Falle ging, suchte er sie mit einem scharfen Schustermesser, das bei ihm immer in Reichweite lag, aufzuspießen. Zugleich schälte er mit dem Küchenmesser die Kartoffeln für das Gericht mit Stockfisch, das er in einem irdenen Topf auf einem Kohlenfeuer kochte. Dabei sprach er laut vor sich hin und schimpfte über die Sprünge der Maus, die den durch das Drahtgitter der Falle geführten Stichen auszuweichen suchte. Das alles fand ich sehr zum Lachen.
    Vom Hauptbalkon unserer Wohnung aus konnte man manchmal den Trauerfeiern zu Ehren der im Luftkrieg gegen Malta Gefallenen zusehen, die gegenüber vor dem Eingang des Krankenhauses stattfanden. Waren die Gefallenen Deutsche, so nahmen vor allem deutsche Soldaten daran teil. Ich stand auf dem Balkon und bewunderte, wie sie sich aufstellten und die Hacken der genagelten Stiefel zusammenschlugen, wie sie das Gewehr fassten und ihre Manöver machten. Ich war fasziniert von der Genauigkeit und Präzision ihrer Bewegungen. So habe ich mich immer an einen Trupp erinnert, der einmal in schöner Formation im Gleichschritt unter meinen Augen vorbeizog. Die Soldaten sangenlauthals eines ihrer Lieder und marschierten in gleichförmigem Rhythmus, indem sie mit dem rechten Arm das Gewehr, den Lauf nach oben, auf der Schulter hielten, während sich zugleich die linken Arme in höchster Symmetrie nach hinten hoben und dann wieder nach vorn zurückfielen.
    Über die Allee führten die Schienen einer altertümlichen Straßenbahn, die unser Viertel mit dem Stadtzentrum verband. Dorthin ging es einen steilen Abhang hinab, der die Stadt zweiteilte. Diese Stufe im Terrain hatte sich infolge des verheerenden Ausbruchs von 1669 gebildet, als die Lava Catania fast völlig zerstörte. Goethe fuhr diesen steilen Hang mit der Kutsche hinauf und bemerkte dazu: «... Der starre Feuerstrom ward bearbeitet wie ein anderer Fels, selbst auf ihm waren Straßen vorgezeichnet und teilweise gebaut.» An die Straßenbahn habe ich mich vor ein paar Jahren wieder in Lissabon erinnert, wo eine ebenso alte Tram, bestens konserviert und wie eine kostbare Reliquie zum Nutzen des Tourismus gehütet, immer noch die steilen Hügel der Stadt hinauf und hinab fährt. Schaudernd ob der engen Kurven und des starken Gefälles, so dass ich mir wie in einer Achterbahn vorkam, dachte ich an die Straßenbahn meiner Kindheit, die heute sicher nicht mehr fährt, ausgemustert und verschrottet zusammen mit den Schienen, um dem Autoverkehr Platz zu machen. So erging es vielen Straßenbahnen in den italienischen Städten, die der sogenannten wirtschaftlichen Entwicklung zum Opfer gebracht wurden.
    Meine Mutter nahm mich manchmal mit, wenn sie mit der Straßenbahn zu einem ihrer Brüder fuhr. Dieser hatte ein Geschäft am unteren Ende der Steilstrecke der Allee, die bis zum Meer führte, in entgegengesetzter Richtung zu der, dieich einschlagen musste, um in die Schule zu gehen. In Wirklichkeit war dieser Onkel ein Stiefbruder meiner Mutter, ein Sohn meiner Großmutter aus erster Ehe, die, verwitwet, dann meinen Großvater geheiratet hatte. Er hatte ein Lebensmittelgeschäft ganz eigener Art, denn er verkaufte keine frische, sondern nur getrocknete Ware: Hülsenfrüchte, Stockfisch und Trockenobst. Man betrat das Geschäft durch eine Glastür mit einer Glocke, die den Eintritt des Kunden meldete. Der Raum war sehr groß und der Geruch darin köstlich. Hinten, neben der Tür, die ins Magazin führte, stand die lange, hohe Theke mit der Marmorplatte, vor ihr waren große Säcke und ein paar Fässer aufgereiht. Sie enthielten Bohnen, Saubohnen, Kichererbsen und Linsen sowie Kabeljau und Heringe, dazu Kastanien, Feigen und Johannisbrot – alles getrocknet. Johannisbrot heißt die Frucht eines großen Baums, der damals in Sizilien noch häufig angepflanzt wurde. Es hat die Form einer flachen, braunen Schote, die bis zu fünfzehn Zentimeter lang werden kann und süß und sehr lecker ist. Meine Mutter hing sehr an
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