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Eine italienische Kindheit

Eine italienische Kindheit

Titel: Eine italienische Kindheit
Autoren: Roberto Zapperi
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war, und fuhr fort, dasKabel an den anderen Häusern zu befestigen. Dieser Soldat war der erste Deutsche, dem ich in meinem Leben begegnete, der erste, den ich von nahem sah und mit dem ich ein paar Worte gewechselt habe. Sein athletischer Sprung, mit dem er von der Straße aus in unser Haus eingedrungen war, machte mir aus zweierlei Gründen tiefen Eindruck und setzte meine kindliche Phantasie in Bewegung: einmal, weil er, um auf den Balkon zu gelangen, keine einfache Leiter, sondern diesen merkwürdigen Stab benutzt hatte, der mich an ein Zirkusgerät erinnerte; dann, weil er, diesem Mittel entsprechend, gleichsam wie ein Akrobat aufgetreten war, ähnlich wie jener Trapezkünstler, den ich vor kurzem noch im Zirkus bewundert hatte.
    Soldaten des deutschen Afrikakorps
    Ich muss gestehen, dass ich einer solchen, wenn auch unangekündigten Begegnung mit einer gewissen kindlichen Erwartung entgegengesehen hatte. Geschürt hatte sie meine Mutter mit ihren oft wiederholten Erzählungen von der wundersamen Reise meines Großvaters nach Deutschland. Mein Großvater mütterlicherseits exportierte Zitrusfrüchte nach Deutschland – Apfelsinen, Zitronen und Mandarinen – und beschloss eines schönen Tages zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts, seine deutschen Kunden zu besuchen. Er packte etwas Wäsche in ein großes buntes Tuch und stieg mit diesem leichten Gepäck in den Zug nach München. Bei der Rückkehr erzählte er die wunderbarsten Dinge. Am Bahnhof in München hatte ihn der deutsche Handelsvertreter erwartet, der während des ganzen Aufenthalts für ihn dolmetschte und ihn mit den Kunden bekannt machte, die ihn sehr herzlich empfingen. Von den deutschen Sitten hatte ihn vor allem die Art, wie das Bett in seinem Hotel gemacht war, beeindruckt. Er erzählte, dass dieDeutschen nicht auf, sondern unter der Matratze zu schlafen pflegten, denn er hatte das dicke Federbett für eine solche gehalten. Er war auch einmal zum Essen allein in einen Gasthof gegangen, wo ein schwarzbefrackter Ober ihm sehr zeremoniös die Speisekarte vorgelegt hatte. Mein Großvater nahm sie in die Hand und ging aufmerksam die Preise durch. Auf die aufgeführten Speisen achtete er nicht, denn er konnte zwar lesen, verstand aber kein einziges Wort Deutsch. Da er ein wenig geizig war, oder vielleicht war ihm auch im Augenblick der Wechselkurs zwischen Lira und Deutscher Mark nicht präsent, zeigte er auf die Speise ganz unten auf der Karte, die am wenigsten kostete. Der Ober zuckte nicht mit der Wimper, ging zur Küche und brachte ihm kurz darauf zu seiner Verblüffung ein Stück Eis. Ein anderes Mal verließ er das Hotel ebenfalls ohne Begleitung und verirrte sich, bis ihn ein Polizist auflas und auf die Wache brachte, um festzustellen, wer er sei und wo er wohnte. Um sich mit ihm zu verständigen, wurde ein Dolmetscher geholt, aber der Großvater konnte sich auch diesem nicht verständlich machen, denn er sprach nur Sizilianisch und kein Italienisch. Die Polizei musste also nach einem Sizilianer suchen, und erst mit dessen Hilfe gelang es herauszufinden, wo der Großvater logierte. Es versteht sich, dass all diese Geschichten mich schon früh auf die Deutschen und Deutschland neugierig gemacht hatten. Ein merkwürdiges Volk, das unter der Matratze schlief!
    Obwohl Italien mit Deutschland verbündet war (der «Stahlpakt» zwischen den beiden Staaten wurde am 22. Mai 1939 unterzeichnet), zögerte Mussolini doch, Hitler in den Krieg zu folgen. Grund waren die mangelnde militärische Vorbereitung Italiens und der Unwille des ganzen Landes, angefangenvom König bis hin zu einem großen Teil der Parteiführer, einen Krieg zu führen. Am 18. März 1940 trafen Hitler und Mussolini am Brenner zusammen, und dies war der letzte deutsche Schritt, um den zaudernden italienischen Verbündeten zur Entscheidung zu drängen. Schon Ende April fasste Mussolini den Entschluss zu intervenieren, die französische Niederlage bei Sedan im Mai bestärkte ihn dann endgültig in dieser Absicht. Der deutsche Sieg brachte ihn zu der Überzeugung, dass der Krieg schon für Deutschland entschieden war und seine Teilnahme es ihm erlauben würde, sich bei den Friedensverhandlungen einen gebührenden Anteil an der Kriegsbeute zu sichern. So erklärte Italien am 10. Juni 1940 Frankreich und Großbritannien den Krieg.
    Mussolini und Hitler am Brenner 1941
    An diesem Tag hörten wir im Radio die große Rede mit den großspurigen Drohungen, die Mussolini vor einer applaudierenden
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