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Eine große Zeit

Eine große Zeit

Titel: Eine große Zeit
Autoren: William Boyd
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Automobile. Die Ruhe war vollkommen.
    Lysander betrachtete das silberne Flachrelief. Afrikanische Fabelwesen, halb Mensch, halb Tier, mit bizarrem Kopfputz, filigrane Muster aus winzigen Löchern, in das weiche Silber getrieben. Es war kurios und wunderschön – und wimmelte bestimmt von einschlägiger Symbolik, dachte Lysander.
    »Mr L.U. Rief«, sagte Bensimon. Es war so still, dass Lysander den Füller kratzen hörte. Der Stimme war ein leichter Akzent anzuhören, vielleicht aus Nordengland, dachte Lysander, Yorkshire oder Lancashire, aber so verschliffen, dass man ihn nicht genau zuordnen konnte. Mit Akzenten kannte Lysander sich aus, was ihn stolz machte – zum Entschlüsseln benötigte er in der Regel keine zwei Minuten.
    »Wofür stehen die Initialen?«
    »Lysander Ulrich Rief.«
    »Ein großartiger Name.«
    Manchester, dachte Lysander – dieser typische a-Laut.
    »Rief – ist das schottisch?«
    »Altenglisch. Angeblich heißt das ›gründlich‹. Ich habe allerdings auch gehört, es sei ein angelsächsischer Dialektausdruck für ›Wolf‹. Ziemlich verwirrend.«
    »Ein gründlicher Wolf. Von wölfischer Gründlichkeit. Und was hat es mit ›Ulrich‹ auf sich? Sie sind teils deutscher Abstammung?«
    »Meine Mutter ist Österreicherin.«
    »Aus Wien?«
    »Linz, um genau zu sein. Ursprünglich.«
    »Geburtsdatum?«
    »Meins?«
    »Das Alter Ihrer Mutter dürfte wohl kaum eine Rolle spielen.«
    »Verzeihen Sie. 7. März 1886.«
    Wieder verdrehte Lysander den Kopf. Bensimon saß bequem zurückgelehnt, er lächelte, die Hände hinter der glänzenden Glatze verschränkt.
    »Sie müssen sich nicht ständig umdrehen. Stellen Sie sich einfach vor, ich sei nichts weiter als eine Stimme.«

4. Wiener Kunstmaterialien
    Lysander ging langsam die Treppe hinunter, völlig in Gedanken versunken, die teils angenehm, teils unbefriedigend und teils beunruhigend waren. Das Gespräch hatte nur eine knappe Viertelstunde gedauert. Bensimon hatte seine Personalien notiert, die Zahlungsmodalitäten geklärt (Abrechnung alle vierzehn Tage, Barzahlung) und ihn schließlich gefragt, ob er bereit wäre, sein »Problem« darzulegen.
    Draußen auf der Straße hielt Lysander inne und zündete sich eine Zigarette an; er fragte sich, ob die Therapie, die er soeben begonnen hatte, ihm wirklich helfen würde oder ob er es nicht lieber mit einer Pilgerfahrt nach Lourdes hätte probieren sollen? Oder mit dem Heilmittel irgendeines Quacksalbers? Oder hätte er wie George Bernard Shaw Vegetarier werden und Jäger-Unterwäsche tragen sollen? Er runzelte die Stirn, weil er auf einmal so unsicher war – und das war seinem Anliegen alles andere als zuträglich. Greville Varley, sein bester Freund, hatte eine Psychoanalyse angeregt – Greville war der Einzige, der von seinem Problem wusste (und auch das nur andeutungsweise) –, und Lysander hatte sich diesem Vorschlag mit Leib und Seele verschrieben, wie ihm nun bewusst wurde, hatte sämtliche Zukunftspläne über den Haufen geworfen, seine Ersparnisse abgehoben, war nach Wien gezogen und hatte nach dem richtigen Arzt gesucht. War das nun sträflicher Leichtsinn oder nur ein Anzeichen von Verzweiflung?
    Biegen Sie links in die Berggasse, hatte Bensimon erklärt, dann gehen Sie immer geradeaus bis zur kleinen Grünfläche an der großen Kreuzung. Der Laden ist direkt gegenüber – WKM –, nicht zu übersehen. Lysander machte sich auf den Weg, in Gedanken immer noch bei der entscheidenden Frage.
    BENSIMON : Wie würden Sie das Problem beschreiben?
    LYSANDER : Es … es ist sexueller Natur.
    BENSIMON : Ja. Das ist es fast immer. Im Kern.
    LYSANDER : Wenn ich dem Liebesspiel fröne … ich meine, dem Beischlaf –
    BENSIMON : Reden Sie bitte nicht um den heißen Brei herum, Mr Rief. Hier ist Offenheit gefragt. Sie können sich so derb und unverblümt ausdrücken, wie Sie möchten. Selbst Gossensprache kann mich nicht schrecken.
    LYSANDER : Also gut. Beim Ficken habe ich Schwierigkeiten.
    BENSIMON : Sie bekommen keine Erektion?
    LYSANDER : Im Gegenteil, in dieser Hinsicht steht alles zum Besten. Mein Problem ist vielmehr der … der Ausstoß.
    BENSIMON : Ach. Das ist ungemein verbreitet. Sie leiden unter vorzeitigem Samenerguss. Ejaculatio praecox .
    LYSANDER : Nein. Ich habe gar keinen Samenerguss.
    Lysander schlenderte die leicht abschüssige Berggasse hinunter. Irgendwo in der Nähe befand sich die Praxis von Dr. Freud – vielleicht hätte er es lieber bei ihm versuchen sollen? Wie lautete noch
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