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Eine Frau für Caracas

Eine Frau für Caracas

Titel: Eine Frau für Caracas
Autoren: Horst Biernath
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Schwester, Christine?« fragte er liebenswürdig.
    »Im Juli werden es eineinhalb Jahre. Ich wollte ursprünglich nur ein Haushaltjahr machen, aber dann hat es mir hier so gut gefallen, daß ich bei Frau Dyrenhoff bleiben will, bis ich einundzwanzig bin.«
    »Und wann werden Sie einundzwanzig?«
    »Im November.«
    »Ah, ein Skorpion...«, murmelte er.
    »Geben Sie was drauf?« fragte sie.
    »Nichts! Und außerdem haben Sie gar nichts Stachliges an sich.«
    Sie gab ihm keine Antwort.
    »Und was wollen Sie beginnen, wenn Sie einundzwanzig sind?«
    »Da gibt es viele Möglichkeiten«, antwortete sie ein wenig unbestimmt, als hätte sie sich über die Zukunft noch nicht allzu viele Gedanken gemacht. »Vor dem Haushaltjahr war ich Kindergärtnerin. Ich müßte jetzt noch einmal auf die Fachschule, dann könnte ich später einmal Wirtschaftsleiterin in einem Kinder- oder Altersheim werden...«
    »Und das läge Ihnen?«
    »Ja, sehr.«
    Nicht nur ein nettes, sondern auch ein tüchtiges Mädchen. Und einundzwanzig Jahre alt, wie er sie eingeschätzt hatte.
    Sie öffnete vor ihm die Tür zu einem geräumigen Mansardenzimmer. Der helle Wollteppich sah noch so nagelneu aus, als wäre er extra für ihn angeschafft worden. Vor den Schrägwänden standen gutgefüllte Bücherregale, und auf dem Lesetischchen neben dem breiten Messingbett befand sich sogar ein kleiner Radioapparat.
    »Wirklich, ein hübsches Besuchszimmer!« sagte er anerkennend und schielte auf die Buchtitel einer Serie von Kriminalromanen.
    »Eigentlich hat es Herr Dr. Dyrenhoff für sich selber eingerichtet, wenn er seine Ruhe haben will. Manchmal sind die Kinder schon ein wenig laut...«
    Sie warf einen Blick auf den Koffer, den er auf einen Stuhl gelegt hatte.
    »Soll ich Ihre Sachen einräumen, Herr Gisevius?«
    »Danke, danke«, wehrte er ab, »ich habe nichts als ein wenig Wäsche dabei. Das große Gepäck kommt nach. Hoffentlich bald!«
    Sie streifte ihn mit einem Blick: »Für die Jahreszeit sind Sie ein bißchen zu luftig angezogen...«
    »Zu luftig und zu bunt, nicht wahr?«
    »Ach, so schlimm finde ich es gar nicht«, meinte sie.
    »Wie wer?« grinste er, »wie meine Schwester?«
    »Ach, nein«, sagte sie errötend.
    Wahrscheinlich hatte Gerda ihr gesagt, sie solle bei seinem Anblick nicht erschrecken.
    »Einen Moment noch, Christine«, bat er, als sie sich entfernen wollte, »ich habe meinem Schwager eine Flasche Whisky mitgebracht. Nehmen Sie sie bitte mit und stellen Sie sie in den Kühlschrank.«
    »Gern, aber Herr Dr. Dyrenhoff wird nicht viel Freude daran haben. Er darf doch nichts trinken, wegen seines Herzens. Höchstens, daß er abends mal ein Glas Bier nimmt.«
    »Lieber Gott«, murmelte Werner bestürzt, »dann ist das Haus also sozusagen knochentrocken, wie?«
    »Ein paar Flaschen Bier liegen für Sie auf Eis«, tröstete ihn Christine.
    »Nehmen Sie die Flasche trotzdem mit. Whisky ist für mich nämlich Medizin. Ich habe es ein wenig mit dem Magen, und ich fürchte, bei dem Klimawechsel werde ich ab und zu einen Löffel voll brauchen.«
    »Ich verstehe schon, Herr Gisevius«, murmelte sie und verließ mit der Flasche Black & White das Zimmer.
    »Was verstehen Sie, Christine?«
    »Mein Vater hat dasselbe Magenleiden«, sagte sie und schloß die Tür hinter sich zu.
    Werner packte seinen Koffer aus. Er enthielt außer dem Schlafanzug und einigen Oberhemden nur noch seine Toiletten-Utensilien, und sie waren rasch in eine Schublade der Kommode eingeräumt. Ein Päckchen, das in Seidenpapier eingewickelt war, steckte er in die Hosentasche, bevor er wieder hinunterging. Gerda und Anita Eyssing erwarteten ihn in dem Herrenzimmer, das mit dem Wohnraum durch eine breite Schiebetür verbunden war, so daß man hier einen großen Raum schaffen konnte, der die ganze Südfront des Hauses einnahm. Auf den Bänken der breiten und hohen Fenster standen Töpfe mit üppig wuchernden Blattpflanzen; zwei Glastüren führten auf die Terrasse hinaus.
    »Ich habe dir etwas mitgebracht, Gerda«, sagte er und überreichte seiner Schwester das kleine, aber ziemlich gewichtige Päckchen, das er oben eingesteckt hatte; »der Gauner, der es mir andrehte, schwor Stein und Bein, daß es sich um eine echte, alte Aztekenarbeit handle, den Armschmuck eines Sonnenpriesters. Aber ich will die Echtheit nicht beschwören, man wird von diesen Brüdern ja meistens übers Ohr gehauen.«
    Gerda Dyrenhoff löste die einfache Verschnürung, und beide Frauen stießen einen kleinen
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