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Eine Frau für Caracas

Eine Frau für Caracas

Titel: Eine Frau für Caracas
Autoren: Horst Biernath
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Kinder, die aus der Garage herausstürzten und dem Wagen entgegenrannten , waren Werners Nichten Karin und Birgit, fünfzehn und zwölf Jahre alt, und sein zehnjähriger Neffe Bernd, von den Geschwistern und der Familie Berndi genannt. Karin, mit Pferdeschwanzfrisur, Blue jeans und einem roten Pullover, der bereits üppige Formen für die Zukunft ahnen ließ, lächelte dem Onkel etwas erschrocken entgegen, der Blick, mit dem sie ihn musterte, zeigte deutlich, daß sie seine Aufmachung reichlich ungewöhnlich fand. Birgit, langaufgeschossen , dünnbeinig, aber mit Schuhnummer achtunddreißig, trug ebenfalls Hosen und Pulli, gänzlich flach und formlos; sie hatte einen Schraubenschlüssel in der Hand und sah mehr nach Mechanikerlehrling als nach Mädchen aus. Sie schielte gespannt nach dem Luftkoffer und schien enttäuscht zu sein, daß dieses Köfferchen das ganze Gepäck war, das der Onkel aus Amerika mit sich führte.
    »Hast du uns was mitgebracht, Onkel Werner?« fragte sie, und es klang, als mache sie es davon abhängig, wie die Begrüßung ausfallen werde.
    »Ich bitte euch, Kinder!« rief Gerda entsetzt, »ist das eine Art, Onkel Werner zu begrüßen?!«
    Die Mädels kamen zögernd heran und knicksten linkisch. Man merkte ihnen deutlich an, daß sie auf diesen Knicks gedrillt worden waren und ihn lächerlich altmodisch und blöd fanden. Der Knabe Bernd verschränkte die Hände auf dem Rücken und hielt sich abwartend im Hintergrund. Er hatte zwei Wirbel im Haar, die wie kleine Hörner genau dort emporstanden , wo Hörner hingehören, und außerdem fehlten ihm die beiden oberen Schneidezähne. Eine Schönheit konnte man ihn beim besten Willen nicht nennen.
    »Na?« sagte er mürrisch und hob das Kinn.
    Werner winkte ihn mit der Golftasche — oder was das Ding sonst sein mochte — zu sich heran: »Es ist ein Indianerbogen. Die Yururaris schießen damit nach Vögeln, hauptsächlich nach Tukanen. Sie benutzen vergiftete Pfeile, deren Gift die Vögel für eine Weile betäubt, so daß man ihnen in aller Gemütsruhe die bunten Federn ausrupfen kann. Hinterher lassen sie die Vögel wieder fliegen...«
    »Mann, ich werd’ verrückt!« zischelte der Knabe Bernd hingerissen, »und Pfeile auch?«
    »Klar, Mann!« sagte sein Onkel, »was wäre ein Bogen ohne Pfeile... Ein Dutzend sind dabei.«
    »Und wir?« fragte Birgit und schmiß den Schraubenschlüssel, mit dem sie an ihrem Fahrrad herumgeschlossert hatte, in die Garage hinein.
    »Benimm dich gefälligst!« rief Karin empört und sah Werner an, als bäte sie um Entschuldigung, mit solch einer Schwester gestraft zu sein.
    »Seid mir nicht böse, aber ich habe wirklich nicht gewußt, was man Mädels in euerm Alter mitbringen soll. Mit mexikanischen Puppen, die jetzt drüben große Mode sind, hätte ich mich, wie ich sehe, bei euch furchtbar blamiert. Das ist nur zur Begrüßung...«, er öffnete den Reißverschluß des Koffers und holte zwei große Pralinenkartons heraus. »In den nächsten Tagen fahre ich mit euch beiden in die Stadt, und da sucht ihr euch aus, was ihr euch wünscht, einverstanden?«
    »Und wenn ich auf ein neues Fahrrad scharf bin?« fragte Birgit lauernd.
    »Genehmigt!« sagte Werner großzügig. »Und du, Karin?«
    Karin zog den Pferdeschwanz graziös durch die Finger und warf ihrem Onkel einen betörenden Blick zu: »Das werde ich mir noch überlegen.«
    »Nun, habt ihr euch angefreundet?« fragte Gerda, die in diesem Augenblick aus dem Haus kam. Sie drehte sich halb um und deutete zur Haustür, aus der ein Mädchen ins Freie trat, jung, blond, hübsch und kräftig, genau der Typ, für den Werner Gisevius schon als Student eine Schwäche gehabt hatte.
    »Das ist Christine«, sagte Gerda.
    Werner reichte ihr die Hand und empfing einen herzhaften Händedruck zur Begrüßung.
    »Nimm dein Köfferchen, Werner«, sagte Gerda, »Christine wird dir dein Zimmer zeigen.«
    Er nickte Christine zu und folgte ihr ins Haus. Sie ging ihm durch die geräumige Diele voran und stieg vor ihm die breite, kreisrund geschwungene Treppe zum ersten Stockwerk empor. Werner schlenderte mit dem Luftköfferchen hinterdrein und betrachtete sie wohlgefällig. Ein sauberes Ding, wahrhaftig! Wie alt sie wohl sein mochte? Schätzungsweise zwanzig oder knapp darüber. Und mit beachtlichen >Skulpturen< ausgestattet, wie man solche üppigen Formen früher genannt hatte, als er noch die Hörsäle der Technischen Hochschule besuchte.
    »Wie lange sind Sie eigentlich schon bei meiner
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