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Eine eigene Frau

Eine eigene Frau

Titel: Eine eigene Frau
Autoren: L Lander
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verwandelte sich der Dachboden in den Ausstellungssaal, den der Großvater beschrieben hat. Eine Steinfuhre nach der anderen wird vom Ufer hertransportiert. Die kleinen Steine sind Trauben, die großen Melonen. Natürlich können die Mädchen keine Steine nach oben tragen, die so groß sind wie Opas Melonen. Aber genau wie bei ihm gibt es sieben verschiedene Melonensorten, die alle prächtige Namen tragen.
    Jetzt sind die Steine in Saidas Augen nichts als Steine, und auch die Kranzschleifen kleben nur ekelhaft an der verschwitzten Haut. Saidas Hand tastet nach einem Band unter ihrem Oberschenkel. Manchmal nach ihrem Gartenspiel machen Saida und Siiri noch ein anderes Spiel. Dabei fahren sie abwechselnd mit einem Seidenband der anderen über Armbeugen und Kniekehlen. Die Berührung der Seide kitzelt besonders auf der Innenseite der Oberschenkel, aber gleichzeitig entsteht dabei ein pochendes Gefühl zwischen den Beinen. Schon mehrmals hätte Saida gern ausprobiert, wie sich das Band dort anfühlen würde, aber eine Kranzschleife dahin zu halten, wo man pinkelt, wäre bestimmt eine blutbraune Sünde.
    Saida nimmt das warme Band und zieht ihr Kleid nach oben. Dann ist es eben eine Sünde! Sie will sich ja auch versündigen, um ihren Vater für das zu bestrafen, was er gerade getan hat. Und was er noch alles tun wird.
    Vor einer Tracht Prügel hat Saida keine Angst. Herman hat noch nie zur Rute gegriffen, um seine Töchter zu züchtigen. Sie haben von anderen Kindern aus dem Dorf schreckliche Geschichten gehört, dass es etwas mit der Rute auf den nackten Po setzt. Die Kinder haben davon erzählt, wie sie selbst den Zweig dafür aus dem Wald holen und nach den Schlägen die Rute auch noch um Verzeihung bitten müssen. Hermans Strafen sind anderer Natur. Seine Wut flammt überraschend auf, und seine Gewalt – grobes Zerren und Haarzausen – wendet er nie mit Methode an. Rituale gibt es dabei nicht. Den Riemen schwenkt er eher mit seinen Worten als mit den Händen, abgesehen von den wenigen Malen, an denen er abends, nachdem er den Gürtel ausgezogen hat, kurz damit über die Bettdecke fährt, wenn die Mädchen im Bett mal wieder zu laut gekichert oder gezankt haben.
    Saida hat vor etwas anderem Angst.
    Sie hat Angst vor der Nacht, denn die Nacht ist die Zeit des Bösen.
    Die Nacht bringt den Vater dazu, die Mutter zu peinigen. Es raubt Saida den Atem, wenn sie die nächtlichen Geräusche aus der Kammer hört. Dann schließt sie ihre schlafende Schwester in die Arme und hält ihr die Ohren zu. Nur ihre eigenen Ohren hören alles.
    Unten wird die Tür geöffnet, hinter der die Treppe zum Dachboden hinaufführt. Hastig nimmt Saida das Band weg und kann gerade noch den Rock über die Oberschenkel ziehen, bevor oben die Dachbodentür aufgeht. Vaters junger Kollege Sakari Salin späht durch die niedrige Türöffnung.
    »Geh weg!«
    »Na, na … Was treibt ein kleines Mädchen wie du an so einem schönen Tag allein hier oben?«
    »Hau ab!«
    Sakari gehorcht nicht, sondern setzt sich auf die Treppe und steckt sich eine Zigarette an. Er trägt einen dunklen Anzug und ein weißes Hemd. Seine Schuhe sind frisch poliert.
    Mit gleichmäßiger Stimme erzählt er von diesem und jenem und pflückt sich zwischendurch mit Zeigefinger und Daumen Tabakkrümel von der Zungenspitze.
    »Ist es wegen Hermans Donnerwetter, dass du noch immer hier oben auf dem heißen Dachboden vor dich hin schmollst, Mädchen?«
    Saida antwortet nicht.
    »Dein Papa ist nur ein bisschen über seine Tochter erschrocken«, sagt Sakari. »Weil sich seine Saida schlimm hätte verbrennen können; so eine winzige Kohlmeise mit so einer riesigen Kaffeekanne!«
    »Selber Meise!«
    »Nein, bin ich nicht, sondern ein ranker, schlanker Kerl.«
    Sein Blick fällt auf ein Stück Spitze, das aus den Sägespänen ragt.
    »Aber zeig mir jetzt mal die schönen Handschuhe!«
    Das Mädchen schüttelt den Kopf.
    Sakari versichert, dass er aufhören wird, nach den jungen Damen zu schauen, wenn denn die jungen Damen aufhören, sich schön zurechtzumachen. Wäre Saida ein bisschen älter, würde er sie sogar heiraten.
    Saida dreht ihm den Rücken zu und fängt an, mit dem rostigen Hufeisen, das an einem Balken gehangen hat, Muster in die Sägespäne zu zeichnen. Sie murmelt, alle wüssten sehr wohl, dass Sakari mit Seelia Laina verlobt sei. Sakari gibt zu, dass es so ist, aber eine Braut könne immer ihre Meinung ändern, das sei möglich, bei Frauen wisse man nie. In dem Fall würde
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