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Eine eigene Frau

Eine eigene Frau

Titel: Eine eigene Frau
Autoren: L Lander
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zur Verteidigung der Neger kann immerhin angeführt werden, dass sie das Wort des Herrn noch nicht erreicht hat, im Gegensatz zu dem im christlichen Glauben getauften, aber ohne Reue in blutbrauner Sünde sich suhlenden Gutsherrn. Ich muss wohl nicht daran erinnern, was der Stadt Sodom widerfuhr, deren Bewohner keine Grenzen mehr kannten in ihrer Lasterhaftigkeit. In jener Stadt schaute sogar der Mann nicht mehr auf seine Frau und vereinigte sich mit einem anderen Mann. Der Herr ließ Sodom durch sein Feuer verbrennen! Halleluja! Wo geht die Kassette gerade um?«
    »Hier.«
    Osku Venho schwenkt die Blechdose. Am Klimpern hört man, dass sich darin bereits Münzen angesammelt haben.
    »Ja, liebe Brüder. Hier geht die Kassette um, in der Almosen gesammelt werden für jene Neger, die im Stadium des Tieres der Errettung harren. Denn auch sie können unsere Brüder und Schwestern werden. Unsere Pflicht besteht darin, unsere Prediger nach Afrika zu entsenden, um dort die christlichen Sitten zu lehren. Die Schwärze bekommt man von den Negern auch durch Waschen nicht ab, aber mit Hilfe des Bluts Christi können wir sie von der Sünde reinwaschen. Wo ist die Kassette? Denkt an die leidenden Schwarzen und helft ihnen, unsere Brüder und Schwestern im Herrn zu werden! Amen.«
    Saida beobachtet, wie sich der Vater endlich setzt und das Taschentuch hervorholt, um sich die Stirn zu wischen. Jetzt bemerkt er auch endlich seine Tochter mit der Kaffeekanne.
    »Wie merkwürdig !«
    Saida starrt auf den Adamsapfel des Vaters, der sich unruhig unter der glatt rasierten Haut bewegt. Als frommer Mann flucht Herman nie, aber ein mit Nachdruck ausgesprochenes »merkwürdig« verheißt nichts Gutes.
    »Ich … helfe der Mama.«
    Der Vater nimmt Saida energisch die Kanne ab und packt das Mädchen an der Schulter.
    »Was für ein merkwürdiges Herausputzen ist das denn? Kein Anstand. Man muss sich schämen.«
    »Nicht doch, Herman«, sagt der Verwalter und hält seinen Spazierstock in die Höhe. Herman lässt los. Emma, die aus der Ferne verzagt ihrem Mann zugehört hat, eilt herbei und stellt sich zwischen Vater und Tochter. Hastig nimmt sie das Taschentuch von Saidas Zöpfen, versucht hilflos auch dem Kind die Handschuhe abzustreifen, doch Saida ballt fest die Fäuste vor der Brust. Einige der Männer lachen verlegen. In Saidas Ohren dringt es als rohes, höhnisches Gelächter.
    »Ins Feuer mit solchem Putz aus Babylon!«, knurrt Herman. »Nichts wie nach Hause! Oder soll hier vor aller Augen die Rute sprechen?«
    Saida macht kehrt. Mit feuchten Augen stolpert sie die Treppe zur Kaserne hinauf. Sie geht nicht nach Hause, sondern steigt auf den Dachboden, wo sie endlich die langen Handschuhe von den Armen reißt und sie, jetzt bereits laut heulend, in der Bodenfüllung begräbt. Dann lässt sie sich selbst in die warmen Sägespäne fallen und bleibt mit geschlossenen Augen weinend und am ganzen Körper zitternd liegen. Draußen kräht der Hahn.
    Aber in der Hitze des Dachbodens verlangt einem sogar das Weinen alles ab. Saida öffnet die Augen. Sie brennen vom Salzwasser, obwohl sie jetzt nicht mehr weint. Nur ein kleines dreieckiges Fenster lässt Licht ins Dunkel des Dachbodens. Davor spannen sich Spinnweben, in denen einige benommene Fliegen zwischen toten Artgenossen summen. Neben sich sieht Saida nur getrocknete Blumensträuße und alte Kranzbänder im Sägemehl liegen. Die Hausbewohner haben sie aufbewahrt, sie stammen von früheren Beerdigungen ihrer Angehörigen. Im Dunkel des Dachbodens tragen die Kranzbänder die Erinnerung an die Toten von einem Jahr zum anderen, wie Kleidungsstücke, die man nicht wegwerfen oder hergeben mag.
    Saida kann die schnörkelhaften Aufschriften noch nicht lesen, aber mit ihrer kleinen Schwester Siiri hat sie sich eine Menge Spiele mit den schönen Bändern ausgedacht. Einmal hatten sie die Idee, am kaputten Puppenwagen die Hinterräder abzunehmen und daraus Medaillen zu machen, indem sie Kranzbänder hindurchzogen. Abwechselnd spielten sie Gräfinnen und andere feine Damen, deren selbstgezüchtetes Obst auf vornehmen Gartenschauen Medaillen gewann.
    Die Weintrauben der Gräfin Nadine hatten tatsächlich einige Jahre zuvor bei der Gartenschau von Sankt Petersburg eine Silbermedaille errungen. Saidas Opa brüstete sich bei jeder Gelegenheit damit, war er doch derjenige, der unermüdlich und eigenhändig die Weinstöcke in seinem geliebten Gewächshaus gehegt und geschnitten hatte. Im Spiel der Schwestern
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