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Eine Ehe in Briefen

Eine Ehe in Briefen

Titel: Eine Ehe in Briefen
Autoren: Sofja Tolstaja , Lew Tolstoj
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Leben und Dir zu, und da verspürte ich den Wunsch, Dir für das einstige Glück, das Du mir gabst, zu danken und zu bedauern, daß es nicht unser ganzes Leben lang so stark, still und vollkommen bleiben konnte.«
    Im Juli 1898 nahm Tolstoj die Arbeit an seinem Roman Auferstehung wieder auf, den er einige Jahr zuvor begonnen hatte. Die ganze Familie arbeitete an der Reinschrift. Obwohl Tolstaja der Roman, der von einer jungen Frau handelt, deren Leben zerbricht, nachdem ein junger Aristokrat sie verführt hatte, nicht eben gefiel, war sie glücklich, daß ihr Mann endlich wieder literarisch zu arbeiten begonnen hatte. Das fürstliche Honorar, das Tolstoj mit dem Verleger Marx vereinbarte, sollte der in Rußland Verfolgungen ausgesetzten Religionsgemeinschaft der Duchoborzen für ihre Übersiedlung nach Kanada gespendet werden.
    Die Machthaber sahen in Tolstojs neuem Werk eine »Karikatur der herrschenden Ordnung und der Gesellschaft«. Der Roman war für sie ein willkommener Anlaß, den Schriftsteller,dessen Standpunkte ihnen schon lange ein Dorn im Auge waren, da sie die Grundfesten von Staat und Kirche in Frage stellten, endlich in seine Schranken zu weisen. Die Orthodoxie, die in Tolstoj den »Verkünder einer neuen Irrlehre« sah, beschloß, den Aufrührer zu maßregeln. Ende Februar 1901 erfuhr der Schriftsteller aus der Morgenzeitung von seiner Exkommunikation. Als Vorwand dafür diente die Beschreibung eines Gottesdienstes in der Gefängniskapelle in Auferstehung .
    Empört über die Selbstherrlichkeit der Kirchenfürsten verfaßte Tolstaja einen offenen Brief, in dem sie ihrem Protest flammend und selbstbewußt Ausdruck verlieh: »Die Schuld für den sündigen Abfall von der Kirche tragen nicht jene Verirrten, welche die Wahrheit zu erkennen suchen, sondern jene, welche sich stolz als ihre Oberhäupter bezeichnen und, statt Liebe, Vergebung und Güte zu üben, zu geistigen Henkern all derer werden, die eher Vergebung von Gott erlangen werden, da sie in Frieden und fern aller irdischen Versuchungen ein Leben in Liebe und Hilfe für den Nächsten leben, wenngleich auch außerhalb der Kirche, als jene strafenden und den Kirchenbann aussprechenden Hirten, die mit Brillanten besetzte Mitra und Insignien tragen.« Obwohl die Veröffentlichung der Stellungnahme Tolstajas umgehend untersagt wurde, erreichte sie in hektographierten Kopien in Rußland ebenso wie im Ausland dennoch ein großes Publikum.
    Nach langer, schwerer Krankheit Tolstojs lebte das Ehepaar seit 1902 wieder gänzlich auf Jasnaja Poljana und war, wie in den ersten Jahren der Ehe, kaum mehr als wenige Tage getrennt. Beide Ehepartner gingen ihren Beschäftigungen nach. Tolstoj schrieb Hadschi Murat und sammelte Zitate für seinen Lesekreis , einem Konvolut aus den Werken der Dichter aller Zeiten, und arbeitete an seinen Erinnerungen . Tolstaja widmete sich mit Leidenschaft der Malerei und der Fotografie, schrieb »unermüdlich« an ihrer Autobiographie Mein Leben und reiste gelegentlich in Angelegenheit ihres Verlags nachMoskau. Im Historischen Museum, dessen Archiv sie den Großteil der Manuskripte Tolstojs und seiner Korrespondenz übergeben hatte, exzerpierte sie für ihre Autobiographie, in ihren Mußestunden besuchte sie Ausstellungen und Konzerte. Die leidliche Ruhe, die im Hause Tolstoj eingekehrt war, wurde indes nach der Rückkehr des Tolstoj-Adepten Wladimir Tschertkow aus der Emigration im Jahre 1907 wieder gestört. Bei Wladimir Grigorjewitsch Tschertkow glaubte Tolstoj jenes Verständnis zu finden, das er bei seiner Frau und seiner Familie vermißte. Tschertkow war, nachdem er im Dezember 1883 die Bekanntschaft des von ihm leidenschaftlich verehrten Tolstoj gemacht hatte, rasch zu einem der führenden Tolstojaner aufgestiegen. Die Schriftstellergattin sah die kritiklose Verehrung Tolstojs kritisch: »Ich mag ihn nicht«, notierte sie bereits im Oktober 1887 in ihrem Tagebuch. »Er ist nicht klug, sondern verschlagen, einseitig, schlecht. Lew Nikolajewitsch fühlt sich nur deshalb zu ihm hingezogen, weil er von ihm umschmeichelt wird.«
    Während seiner Emigration war Tschertkow zum alleinigen Sachverwalter Tolstojs außerhalb Rußlands aufgestiegen. Als er nach zehn Jahren in die Heimat zurückkehren konnte, fühlte Tolstaja sich von Tschertkow und seinen Gefolgsmännern aus dem Leben ihres Mannes verdrängt.
    Mit Tschertkows Rückkehr nahm auch die Zahl der Besucher in Jasnaja Poljana wieder zu. Die wichtigsten Vertreter des
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