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Eine Ehe in Briefen

Eine Ehe in Briefen

Titel: Eine Ehe in Briefen
Autoren: Sofja Tolstaja , Lew Tolstoj
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eine Trennung in Erwägung zog. Erst als Sofja Andrejewna ihre Weigerung, weitere Kinder zu bekommen, aufgab, normalisierte sich die Beziehung wieder. Nicht zum letzten Mal sah Tolstaja sich gezwungen, sich dem Willen ihres Mannes unterzuordnen. Sechzehn Schwangerschaften machte Tolstaja in den ersten drei Ehejahrzehnten durch und gebar dreizehn Kinder.
    1873 begann Tolstoj die Arbeit an seinem nächsten großen Roman: Anna Karenina . »Die Umstände, unter denen Anna Karenina geschrieben wurde«, erinnert sich die Schriftstellergattin, »waren sehr viel schwerer als jene, unter welchen Krieg und Frieden entstanden war. Damals lebten wir in ungetrübtem Glück, nun aber starben nacheinander drei Kinder und zwei Tanten.«
    »Deine Anna Karenina (die vom Dezember) wird in Golos und Nowoje Wremja über alle Maßen gelobt«, berichtete Tolstaja ihrem Mann begeistert, nachdem die letzten Teile des Romans im Dezember 1877 erschienen waren. Noch ahnte sie nicht, daß das Familienglück sich dem Ende zuneigte und eine Zeit unüberwindbarer Konflikte begann. »Das zwanzig Jahre währende glückliche Zusammenleben endete in einem Drama, das sich lange zuvor angekündigt hatte und unsere Familie zerstörte«, schreibt die Tochter Tatjana in ihren Erinnerungen. »Unsere Familie fand sich in einem tragischen Dilemma, aus dem es keinen Ausweg gab.«
    Während er an den letzten Kapiteln der Anna Karenina arbeitete, durchlebte Tolstoj eine schwere Krise, suchte seinen Weg zum Glauben. Später bezeichnete er 1877, also sein neunundvierzigstes Lebensjahr, als das wichtigste Jahr in seinem Leben. »Wie man sagt und ich es an mir selbst fühle«, erklärte er seiner Frau, »bringt eine Phase von sieben Jahren dem Menschen Veränderung. Meine größter Wandel erfolgte im Alter von 7 × 7 = 49 Jahre.«
    Die Schicksalsschläge der letzten Jahre hatten in Tolstoj wieder seine Angst vor dem Tod wachgerufen. Vergeblich suchte er die Antwort auf die Frage nach dem Ziel jeglicher Existenz im orthodoxen Christentum. Einstmals in Jugendjahren war in Tolstoj die Idee erwachsen, sein Leben der Gründung einer neuen Religion zu widmen, »die auf der Lehre Christi beruhen sollte, gereinigt von Dogmen und Mystik«. Nun, als reifer Mann, beschloß Tolstoj, daß er für seine Berufung bereit sei.
    Um den ältesten Kindern eine standesgemäße Ausbildung zu ermöglichen, lebte die Familie ab 1881 während der Winter in Moskau. Für Tolstoj war das Leben im »verruchten Babylon« von den ersten Tagen an eine Qual. Erschüttert von der furchtbaren Not und der Armut der proletarisierten Massen in den Armenvierteln und Nachtasylen schien es dem Schriftsteller verwerflichund unmoralisch, sein Leben und seine Arbeit »umgeben von schamlosem Wohlstand inmitten des Elends« unverändert fortzusetzen. Häufig floh er vor den Eindrücken der Stadt nach Jasnaja Poljana, wo er in der ländlichen Ruhe fernab von der »ansteckenden Kloake« der Stadt seine Antwort auf die Fragen der Armut und sozialen Ungleichheit zu finden suchte. Die gesamte Last des Haushalts, der Erziehung der Kinder und die Sorge um das finanzielle Wohlergehen der Familie lag nunmehr auf den Schultern Tolstajas. »Ich glaube, daß ich mich nirgends besser und ruhiger fühlen könnte«, rechtfertigte Tolstoj seine Aufenthalte in Jasnaja Poljana. »Du, die zu Hause stets von Sorge um die Familie geplagt bist, kannst den Unterschied gar nicht empfinden, der für mich zwischen Stadt und Land liegt.«
    Während die Familie in Moskau ein Leben führte, wie es in ihren Kreisen üblich war, arbeitete Tolstoj an der Vereinfachung des Lebens und wollte allem vermeintlichen Luxus entsagen. Der Literat Tolstoj wandelte sich zum religiösen und sozialen Denker. Kompromißlos verurteilte er die bestehende, auf Ausbeutung und Unterdrückung gründende Gesellschaftsordnung. Besitz schien ihm das größte Übel. Der Appell, der aus dieser Überzeugung entsprang, lautete: Die Wohlhabenden mögen ihren Reichtum an die Armen verteilen und selbst nach den Geboten der Bergpredigt ein sittlich geläutertes Leben in Bescheidenheit und selbstloser Nächstenliebe führen.
    Seine Forderungen galten auch für die eigene Familie. Tolstoj versuchte seine Frau von der Notwendigkeit zu überzeugen, den gesamten Besitz an die Bauern zu übergeben und von der eigenen Hände Arbeit zu leben. Sofja Tolstaja jedoch hielt unerschütterlich an ihren eigenen Grundsätzen fest: »Du hast stets sorgsam die Frage der Verpflichtungen gegen
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