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Ein weißes Land

Ein weißes Land

Titel: Ein weißes Land
Autoren: Sherko Fatah
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Bissen. Es war eine warme Nacht, dennoch spürte ich kühle Luft auf der Haut. Ich blickte in das anheimelnd beleuchtete Zimmer und stellte fest, dass sich in meine Erregung noch etwas anderes mischte. Ich wusste, was es war, doch ich wollte nicht darüber nachdenken. Ich war aufgewühlt, etwas Bedeutsames war mir widerfahren, eine Begegnung, der ich nicht gewachsen war. Ich zog das Tuch ganz vom Topf und verschloss ihn mit dem Deckel.
    Ich löschte das Licht im Zimmer und schlich durch den dunklen, engen Flur zum Schlafzimmer. Es war genau, wie ich erwartet hatte: Sie schlief fest, als ich mich zu ihr legte, war vom Betttuch so umschlungen, dass es kaum von ihr zu lösen war. Sie erwachte, und je stärker ich am Tuch zupfte, umso nachdrücklicher schlang sie es um sich. Ich schob ihr dunkles Haar auseinander und küsste ihren Nacken. Es gelang mir nur zentimeterweise, die Haut ihres Rückens freizulegen, immer fester zog sie das Tuch. Ich wusste, was sie wollte. Ich kannte ihre aufreizende Prüderie. Noch immer, wie schon in unserer ersten Nacht, verbarg sie sich, wenn ich sie wollte. Inzwischen war es ein Ritual geworden, und die dünne Decke, in die sie sich verkroch, gab mir die Zeit, die ich brauchte. Sie wich nicht vor mir zurück; ihre Fußsohlen streichelten sogar wie beiläufig meine Füße. Aber sie wollte genommen werden. Manchmal wünschte ich mir, es wäre anders, doch es erregte mich. Schließlich zog ich das Tuch von unten herauf, legte sie frei und drang von hinten in sie ein. Sie machte ein Hohlkreuz und stöhnte so leise, als wären ihre Kinder im Raum. Gerade noch hatte ich Zeit, ihr das Haar aus dem Gesicht zu streichen. Sie schnappte nach meiner Hand und lutschte an den Fingerkuppen, dann war es vorbei.
    Gern lag ich noch eine Weile bei ihr, bevor ich in meinen Raum ging. Ich starrte schwer atmend zur Decke und spürte wieder die Beklemmung. Als wäre mir jemand gestorben, so dachte ich. Die Witwe drehte sich zu mir und legte die Stirn an meine Schulter.
    »Du hast einen neuen Nachbarn«, sagte sie unvermittelt.
    Ich brauchte etwas, um aus meinen Gedanken zu finden.
    »Wen?«, fragte ich.
    Sie gähnte. »Es ist dieser Arzt aus Europa, für den du arbeitest.«
    Sofort war ich hellwach. »Was sagst du?«, fuhr ich sie an.
    »Sie haben seine Möbel gebracht, heute. Ich habe es gesehen, vom Dach aus. Er wohnt im Haus neben den Ställen. Nicht besonders fein, aber geräumig.«
    Mich hielt es nicht im Bett. Ich zwang mich, ruhig zu bleiben und zu schleichen, als ich barfuß auf den Flur hinaustrat und durch das dunkle Zimmer zur Eingangstür ging. Kurz überlegte ich, ob ich die Schuhe anziehen sollte. Doch nicht einmal dafür reichte meine Geduld.
    Ich eilte durch die kühle Nachtluft an der Balustrade entlang zur Holzleiter, die auf das Dach führte. Oben angekommen, bemerkte ich, dass mein Oberkörper nackt war, und unwillkürlich duckte ich mich zusammen. Doch da sah ich schon das große beleuchtete Fenster im Haus auf der anderen Seite der Gasse. Ich erkannte den Doktor, den ich für diesen Tag hinter mir gelassen zu haben glaubte. Dort war er, offenbar vor Kurzem erst zurückgekommen. Es war wieder ein langer Abend im Hospital gewesen. Er stand in der Mitte seines neuen Wohnraumes, die Hände in die Seiten gestützt, und blickte sich um, als suche er etwas.
    Ich kauerte auf dem Blechdach nieder und verschränkte die Arme vor dem Körper. Jetzt, so unerwartet wieder allein mit ihm, begriff ich, dass ich diesen Mann nicht loswerden, dass er mich verfolgen würde mit allem, was er mitgebracht hatte.
    Irgendwo in den Ställen gegenüber musste ein Maultier übriggeblieben sein, jetzt irrte es offenbar herum und stieß gegen die hölzernen Wände. Ich fühlte den Schweiß auf der Haut und fröstelte. Wie ein indischer Heiliger saß ich da, während der Doktor damit begonnen hatte, Kisten auszuräumen. Er tat es hastig, stellte all die kleinen Dinge, die er aus dem Sägemehl fischte und aus dem Papier wickelte, irgendwo in den Raum, manches sogar auf den Boden.
    Jetzt bist du angekommen, dachte ich. Jetzt schaffst du dir ein Heim in der Fremde. Ich löste die Arme von der Brust. Der Anblick des spindeldürren Mannes ließ mich erneut zweifeln. Er war ein älterer Herr und ein Arzt aus Europa, doch das bewies noch nichts. Es sind deine Erinnerungen, die dich täuschen, dachte ich. Nur, weil du so lange keinen Europäer mehr gesehen hast, glaubst du, dass dieser hier etwas mit jener Zeit zu tun hat.
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