Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein weißes Land

Ein weißes Land

Titel: Ein weißes Land
Autoren: Sherko Fatah
Vom Netzwerk:
ist der Unterschied zwischen einem klugen Mann und einem einfachen wie mir.
    Wie immer schlich ich die dunklen Gassen entlang. Unauffällig zu sein, gehört zu meinem Beruf. Ein Bote ist ein Transportmittel. Was er anbietet ist Verlässlichkeit. Noch wenn ich frei bin und wie jeder andere unterwegs, verhalte ich mich wie ein Bote, ich eile, bin gewissenhaft und doch zurückhaltend. Kümmerliches ist es, worauf ich stolz bin.
    Schnellen Schritts hastete ich durch die Dunkelheit. Ich ärgerte mich wieder über die Ignoranz des Doktors, die mich zwang, auf diesem Stuhl im Krankenhaus zu sitzen. Alle, die den Saal betraten, mussten mich, den Boten, anschauen wie eine wichtige Person oder wenigstens einen Kranken, bis sie bemerkten, wer ich wirklich war, um mich sodann geflissentlich zu übersehen.
    Aus vereinzelten Häusern fiel Licht auf die Gassen. Ich erreichte den großen Platz mit den Verwaltungsgebäuden, ging ein kurzes Wegstück im Schein von jüngst aufgestellten Laternen und erreichte schließlich die Gasse, in der mein Haus stand. Auf der gegenüberliegenden Seite befand sich der Gemüsegroßmarkt. Hier kamen die Bauern der Gegend früh am Morgen an und entluden ihre Karren. Jetzt war es beinahe unheimlich still an diesem Ort. Haufen leerer Stoffsäcke lagen in der Dunkelheit wie tote Esel.
    Den Platz gab es noch nicht lange. Der immer größer werdende Basar begann mein einst freistehendes Haus zu umschließen. Zunächst waren es nur Händler und Besucher gewesen, die tagsüber die Gasse bevölkerten. Dann aber breiteten die Geschäfte sich aus. Häuser in der Nähe wurden umfunktioniert oder gleich abgerissen, und die immer weiter ausgebaute Wellblechüberdachung verdunkelte die Gassen, an denen sie gestanden hatten. Ich wollte es als gutes Zeichen sehen: Der Krieg in Europa mit all seinen Auswirkungen bis nach Bagdad war längst vorbei, die Lage hatte sich beruhigt und die Menschen trieben regen Handel. In Wahrheit aber strömten immer mehr arme Leute in die Stadt und veränderten sie so schnell, dass ich kaum folgen konnte.
    Der Marktplatz war ausgestorben. Ich schlenderte in die winzige Gasse bis zum Eingangstor des Hauses, oder was davon übriggeblieben war. Fliegen setzten sich auf mein Gesicht, was in der Dunkelheit besonders unangenehm war. Dennoch, so dachte ich oft, wenn ich hier vorbeikam, es ist eine gute Idee gewesen, das anfangs weit hingestreckte Gebäude freizugeben für die Betreiber der Karawanserei. Sie hatten Ställe für die Maultiere der Bauern eingerichtet, genau gegenüber der neuen Gartenmauer. Jetzt, in der Nacht, waren keine Tiere dort. Nur der Geruch verriet ihre Anwesenheit vom frühen Morgen bis zum Abend, wenn die Bauern sie dort unterstellten, um ihre Verkäufe zu tätigen.
    Ich schloss das schmale, hohe Tor auf, ging durch einen Gang, der vor dem Umbau ein Korridor gewesen war, und trat in den Garten. Geheimnisvoll rauschten die Blätter des Feigenbaums. Ich blieb kurz stehen und atmete tief ein. Erst hier, getrennt von der Außenwelt, bemerkte ich, welch schöne Nacht mich umgab und wie der Wind die Haut, wenn schon nicht kühlte, so doch wenigstens überstrich. Sogar die Fliegen vertrieb er. Ich blickte zum Haus, alle Fenster waren dunkel.
    Ich stieg die schmale Außentreppe hinauf und betrat die Wohnung. Und obwohl der Garten und der Feigenbaum mich die Ruhe schon hatten erahnen lassen, war ich doch erst jetzt ganz bei mir. Das war ein Zustand, den ich immerfort herbeisehnte und doch auch fürchtete.
    Ich entzündete das Öllicht, trug es hinüber zur gepolsterten Sitzbank, setzte mich und zog die Schuhe aus. Ich war daheim. Alles um mich war still. Die Lampe erhellte den Raum nicht nur, sondern wärmte ihn mit ihrem flackernden Licht. Meine heimliche Geliebte, die Witwe, schlief wahrscheinlich schon seit Stunden. In der Küche hatte sie mir das Essen hingestellt. Ich zog das Tuch vom Topf, griff ein paarmal hinein, aß im Stehen. Danach ging ich in den kleinen Anbau neben der Küche, um mich zu waschen. Die ganze Zeit, während ich mit einer Schale Wasser aus dem großen Bottich schöpfte und über mich goss, freute ich mich darauf, zur Witwe ins Bett zu kriechen.
    Die Augenblicke davor steigerten meine Erregung. Manchmal kam ich absichtlich spät nach Hause, um sie genau wie jetzt zu spüren: Erst die Stille und Verlassenheit in meinem Haus, dann die Nähe zu der Frau.
    Nass, wie ich war, das Handtuch um mich geschlungen, ging ich noch einmal zum Topf und nahm ein paar
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher