Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein unsittliches Angebot (German Edition)

Ein unsittliches Angebot (German Edition)

Titel: Ein unsittliches Angebot (German Edition)
Autoren: Cecilia Grant
Vom Netzwerk:
will.«
    Martha erkannte eins der vielen Argumente wieder, die Mr Atkins sich mit ihr gemeinsam zurechtgelegt hatte, und konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Sie hatte in ihrer kurzen Zeit in Seton Park etwas erreicht. Sie hatte sich nützlich gemacht. Wenn die Unzufriedenheit sie zu überkommen drohte, würde sie sich die neuen Dächer in Erinnerung rufen, und die Rolle, die sie bei der Umsetzung der lang gehegten Pläne des Pfarrers für eine Schule für die Pächterkinder gespielt hatte.
    Sie würde sich auch gern an die Verbesserungen erinnern, die sie an seinem Plan vorgenommen hatte. »Was ist mit Ihrer Laura, und mit Adelaide? Sie werden die Sonntagsschule besuchen, hoffe ich?«
    »Wohl kaum.« Er hielt den Kopf schief und rieb sich mit dem Handrücken das Kinn. »Wir brauchen sie im Haus, vor allem wenn ihre Brüder in der Schule sind.«
    »Natürlich.« Diese entmutigende Antwort hatte sie schon mehrmals gehört. »Andererseits ist es ja nur eine halbe Stunde Unterricht die Woche. Vielleicht können Sie sie ja später doch noch entbehren.«
    »Vielleicht. Laura lernt im Augenblick eher diese Arbeit hier.« Er nickte in Richtung des Hundes. »Es liegt ihr, wissen Sie. Andere herumzukommandieren.«
    »Nun ja, eine Begabung dafür, andere anzuführen, sollte man beneiden.« Und kultivieren. Ein Mädchen mit dieser Veranlagung verdiente eine Erziehung. Mehr Erziehung als nur Lesen und Rechnen, womit der Unterricht für Mädchen begann und endete. Sie würde morgen mit Mr Atkins darüber sprechen. Auf diese Eltern musste stärker eingewirkt werden, und da ihre Zeit hier fast abgelaufen war, würde es an ihm sein, das zu tun.
    Vor zwei Wochen noch hatte sie wie jeden Sonntag seit ihrer Hochzeit mit Mr Russell rechts in der ersten Reihe der Stephanskirche gesessen. An diesem Vormittag saß sie drei Reihen weiter hinten auf der linken Seite; eine Geste, die nur sie selbst verstand. Die erste Reihe war der Herrschaft von Seton Park vorbehalten. Sie würde dort nicht mehr sitzen.
    Man sah die Dinge ganz anders aus der dritten Reihe. Man konnte zum Beispiel sehen, wo das Sonnenlicht, das durch das Spitzbogenfenster in der Ostwand einfiel, auf den gefliesten Boden traf. Man konnte die Hinterköpfe der Leute studieren. In der ersten Reihe hätte sie nie erfahren, welche ihrer Nachbarn sich hinter den Ohren wuschen und welche nicht.
    In der ersten Reihe hätte sie wahrscheinlich auch nie den Fremden gesehen. Vielleicht hätte sie ihn gehört. Er hastete durch den Gang zu einem freien Platz, während der Pfarrer aus der Sakristei trat und die Kirchenbesucher verstummten. Aber sie hätte sich ganz gewiss niemals umgedreht, um einen Blick auf den großen, gut gekleideten Mann zu werfen, der auf der Bank ihr gegenüber Platz nahm.
    Sie drehte sich auch jetzt nicht um. Leute, die zu spät zur Kirche kamen, verdienten keine Beachtung – was man den Nachbarn, die ihn verstohlen anstarrten, dringend und nachdrücklich nahelegen sollte. Es war völlig ausreichend, aus den Augenwinkeln zu beobachten, wie er sein Gebetbuch ergriff und hektisch darin blätterte. Als der Gottesdienst begann, verbannte Martha den Fremden aus ihren Gedanken.
    Mr Atkins’ Predigten waren ernst und schlicht und vielleicht ein wenig länger, als man sie sich insgeheim gewünscht hätte, doch für gewöhnlich mit einer erbaulichen Botschaft am Ende. Heute hatte er die Geschichte von Maria und Martha ausgewählt, den beiden Schwestern, die uneins darüber waren, wie sie den Heiland in ihrem Haus empfangen sollten – eine ziemlich verwirrende Stelle, die Pflichtversäumnis zu befürworteten schien. Doch Martha konnte den Kopf beugen und auf die Moral am Ende warten.
    Das unterdrückte Kichern eines Kindes zog einige Minuten später ihre Aufmerksamkeit auf sich. Der kleine Junge in der Reihe vor ihr verrenkte sich den Hals nach etwas hinter sich. Sie folgte seinem Blick und sah den Fremden. Er war eingeschlafen und ein wenig nach links gesackt.
    Wie konnte man den Leuten nur so ein schlechtes Vorbild sein? Sie warf zuerst dem kleinen Jungen einen bösen Blick zu, woraufhin dieser sich hastig umdrehte, und dann der schlafenden Gestalt auf der anderen Seite des Gangs.
    Der Fremde schlummerte unbekümmert weiter. Der Kopf war ihm zur Seite gesunken, so dass sie nur seine welligen Haare sehen konnte, die die blasse Farbe frisch gespaltenen Buchsbaumholzes hatten. Sein Gesicht konnte sie nicht erkennen, und es blieb ihrer Vorstellungskraft überlassen, es
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher