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Ein sinnlicher Schuft

Ein sinnlicher Schuft

Titel: Ein sinnlicher Schuft
Autoren: Celeste Bradley
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zusammengeknoteten Halsbinde mit aufgemalten Tintenaugen bestand und von Melody als ihre Puppe bezeichnet wurde. Gordy Anne sah ein bisschen misstrauisch aus, als könnte man ihm nicht trauen.
    »Hallo«, sagte er vorsichtig.
    Melody blinzelte ihn aus ihren großen blauen Babyaugen an. Ihre dunklen Locken waren voller Laub und Rindenstückchen. »Ich hab Hunger.«
    »Ich nicht.« Tatsächlich war ihm von seiner eigenen Fantasie ein wenig übel geworden. Falls irgendjemand von den Bathgate Scholars, einer Gelehrtengesellschaft, hören würde, welchen Schund er manchmal von sich gab…
    Nun, das würde keine Menschenseele je erfahren.
    Er stand auf und klopfte sich die Kleidung ab. »Also gut. Bis Brighton sind es nur noch ein paar Meilen die Straße hinunter. Auf geht’s, Käpt’n Mellie.« Mit diesen Worten warf er sich das kichernde Mädchen über die Schulter und marschierte zu Hector zurück, der trotz der Trense im Maul heroisch versuchte, den Straßenrand kahl zu fressen. Colin setzte Melody ab und schwang sich auf den Kutschbock.
    Es war so praktisch, dachte Colin, dass sie beide diese Reise allein unternahmen. Keine Dienstboten, keine schwatzhaften Begleiter. Niemand, der ihnen vorschrieb, wann sie weiterfahren und wann sie anhalten mussten…
    »Onkel Coliiiin! Ich muss mal!«
    Prudence Filby warf ihren Nähbeutel auf den Boden der Garderobe. Diese verdammte Chantal! Sie barg das Gesicht in den Händen und versuchte die Panik niederzukämpfen, die eiskalt in ihr hochkroch.
    »Sie kommt nich zurück?«, fragte sie den Direktor des Theaters in Brighton, obwohl sie die Antwort bereits kannte. »Sicher?«
    Der stämmige Mann hinter ihr stieß ein bedauerndes Schnauben aus. »Sie ist weg. Ist mit diesem Dandy abgehauen. Sagte, sie würde ihn lieben. Ich nehme sie nicht wieder, selbst wenn sie zurückkäme. Chantal Marchant mag ja die schönste Schauspielerin in ganz England sein, aber sie ist auch eine verdammte Schlam…« Er räusperte sich. »Sie geht mir gewaltig auf die Nerven. Von den letzten zehn Vorstellungen hat sie nur zwei durchgehalten. Hat ständig gesagt, dass sie zu gut ist für so ein langweiliges Stück.«
    Was er sagte, stimmte. Desgleichen seine Charakterisierung von Chantal. Nur dass sie auch gehässig war, das fehlte. Pru hob den Blick und musterte das Durcheinander in der Garderobe. Es sah aus, als habe hier ein Wirbelsturm gewütet. Alles war zerstört.
    Verflucht sollst du sein, Chantal.
    Das Theater war für die letzten zwei Jahre fast Prus Zuhause gewesen, die Garderobe und das Zimmer, in dem die Kostüme genäht wurden. Dunkel, düster und eng. Die meisten Theaterbesucher sahen die große Bühne, die violetten Samtvorhänge und die grellen Scheinwerfer, die die einzelnen Szenen ausleuchteten, doch die wahre Theaterwelt war hinter der Bühne in den kleinen, kalten Räumen, in denen ihr die Finger manchmal so klamm wurden, dass sie kaum nähen konnte. Das hier war die Wirklichkeit: die langen Stunden, die man sich über schwierige Näharbeiten beugte, die nicht enden wollenden Ansprüche des verwöhnten Stars.
    Pru hatte mehr Zeit in der Garderobe mit der ewig unzufriedenen Chantal verbracht als in dem winzigen gemieteten Zimmerchen, das sie sich mit ihrem jüngeren Bruder Evan teilte. Dass es damit vorbei sein sollte, empfand sie als direkten Angriff auf sich selbst.
    Sie schaute über die Schulter zu dem Direktor hinüber und versuchte zu lächeln. Der Mann hatte Chantals nörgelnden Tonfall geradezu perfekt imitiert. »Sie sollten selbst auf die Bühne gehn, Sir. Sind richtig gut im Darstellen von ’ner verdammten Schlampe.«
    Er grinste sie an, schüttelte jedoch bedauernd den Kopf. »Wird dir nichts helfen, mir Honig um den Bart zu schmieren, Pru. Ich kann dir keine neue Arbeit besorgen. Du kriegst keine gerade Naht hin, und das weiß das ganze Ensemble. Du hast den Job nur so lange behalten, weil du die Einzige warst, die mit Chantals Wutanfällen zurechtgekommen ist.«
    Pru nickte resigniert. »Sie können nix dafür, Sir. Und außerdem haben Sie recht.« Es machte keinen Sinn, es abzustreiten. Sie hatte das alles nur über sich ergehen lassen, Chantals Wutanfälle und Schimpftiraden, damit sie für sich und den zwölfjährigen Evan genug zu essen auf den Tisch bringen konnte. Die anderen Näherinnen hatten ihr bei den schwierigeren Sachen geholfen– aus Dankbarkeit, dass sie selbst nicht für die Teufelin arbeiten mussten.
    Jetzt war es vorbei und Chantal auf und davon, ohne
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