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Ein sinnlicher Schuft

Ein sinnlicher Schuft

Titel: Ein sinnlicher Schuft
Autoren: Celeste Bradley
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gefüllt.
    Normalerweise war er ein Mann der Logik und der Planung, doch jetzt hatte er alle Vorsicht fahren lassen und sich mit dem kleinen Mädchen nach Brighton aufgemacht, weil er dort die Frau wiederzusehen hoffte, die er für Melodys lang vermisste Mutter hielt. Das Seebad war ihm im Theater als Chantals derzeitiger Aufenthaltsort genannt worden.
    Zunächst aber musste er Melody finden.
    »Mellie! Mellie, ich weiß, dass du dich hier irgendwo versteckst. Komm sofort raus!«
    Natürlich kam sie nicht. Warum sollte sie auch? Er selbst hatte das als Kind immer völlig dumm gefunden, wenn verärgerte Erwachsene ein Kind zu sich riefen. Das war ja genauso, als würde man eine Katze mithilfe eines Hundes von einem Baum locken wollen.
    Na schön. Colin holte tief Luft und setzte sich in den Schatten eines Baumes und lauschte einen Moment, bis er das leise Scharren kleiner Stiefel vernahm. Kurz darauf regnete zerkrümelte Rinde durch die feuchte Frühlingsluft auf seinen edlen dunkelgrünen Wollmantel herab. Resigniert wischte er sie weg, legte dann den Kopf in den Nacken und schloss die Augen gegen das durch die Blätter fallende Sonnenlicht.
    Wenn man schon am Straßenrand warten musste, weil man nicht in der Lage war, ein Kind zurück in die Kutsche zu bugsieren, nachdem ein dringendes Bedürfnis es in die freie Natur getrieben hatte, dann war das hier definitiv der ideale Ort dafür.
    Seit zwei Tagen waren sie bereits unterwegs. Er öffnete die Augen und betrachtete voller Stolz seinen schnittigen zweirädrigen Einspänner, das neueste Modell, das zu haben war. Ein Traum aus glänzendem Lack, das perfekte Gefährt für einen smarten Großstädter wie ihn. Das Design erinnerte ihn an die rassigen Rundungen einer Frau, und die lackierte Oberfläche glühte rot im Sonnenlicht wie die Verführung selbst. Das edle Bild wurde ergänzt durch den eleganten Wallach Hector mit seinem schimmernden schwarzen Fell und den ebenholzfarbenen Leinen. Nur das glänzende Messinggeschirr bildete einen Kontrast.
    So sah Schönheit aus. Aidan würde es vermutlich lächerlich und unpraktisch nennen. Colin grinste in sich hinein. Gar nicht komisch fand er hingegen den Gedanken, dass er den Rest des Tages hierbleiben musste, sofern es ihm nicht gelang, Melody vom Baum herunterzulocken.
    »Ich dachte gerade ans Mittagessen, Mellie…« Er ließ den Satz erwartungsvoll in der Luft hängen, bevor er weitersprach. »Na, davon willst du wahrscheinlich nichts hören.« Er zupfte ein wenig am Gras herum. »Oder doch?«
    Stille. Sie war zweifellos hungrig, aber zu dickköpfig, um es zuzugeben.
    Vermutlich half nur eines. Colin Lambert seufzte. Seit sie unterwegs waren, hatte er mehr haarsträubende Piratengeschichten erzählt, als es überhaupt je Piraten gegeben hatte. Wenn er noch einmal all die grausigen Details schildern musste, würde er definitiv das letzte bisschen Verstand verlieren, das ihm noch geblieben war.
    Wie auch immer. »Weißt du, ich frage mich, was Piraten wohl zu Mittag essen…«
    »Fisch.«
    Sie schien den Köder geschluckt zu haben, und er lächelte. »Natürlich, wie dumm von mir. Ich kann mir vorstellen, dass sie jede Menge Fisch essen.« Er summte ein Weilchen vor sich hin. »Und zum Frühstück? Eier hatten sie ja wohl keine.«
    »Fischeier.«
    Er unterdrückte ein Lachen. »Aha, möglich. Warum eigentlich nicht.«
    Noch mehr Rinde rieselte auf seinen Paletot. Das Scharren der kleinen Stiefel schien näher zu kommen. Er war versucht aufzuspringen und nach ihr zu greifen, doch er hatte in den letzten anderthalb Stunden viel gelernt. Trotz ihrer gerade mal drei Jahre zeigte Melody bereits eine erstaunliche Vorliebe für große Höhen.
    Mit einem erneuten Seufzen gab er nach und begann seine Litanei, die er bestimmt an die vierzigmal während der letzten beiden Tage angestimmt hatte. »Es war einmal vor langer Zeit auf den Weltmeeren«– Verflucht seien die Weltmeere! –, »da segelte ein mächtiges Piratenschiff gegen den Wind. Am Bug prangte sein Name, geschrieben mit dem Blut ehrenwerter Männer, und er lautete…« Er wartete.
    »Dishonor’s Plunder.«
    »Dishonor’s Plunder«, bestätigte Colin erschöpft, denn jetzt ging die Geschichte erst wirklich los. Blut wurde vergossen, und eine schrecklich hohe Zahl an Opfern war zu beklagen, aber es zahlte sich aus, denn mit einem Mal saß Melody im Schneidersitz neben ihm im Gras.
    Sie hatte Gordy Anne auf dem Schoß, ein schmuddeliges Bündel, das aus einer
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