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Ein neues Leben auf dem Jakobsweg

Ein neues Leben auf dem Jakobsweg

Titel: Ein neues Leben auf dem Jakobsweg
Autoren: Manolo Link
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Gefühl, sich dieser Fülle von Naturschönheit, die großzügig ihre Pracht offenbarte, hingeben zu können. Was gibt es Schöneres auf dieser Welt, als durch Gottes Herrlichkeit zu wandern? Ja, wandern zu dürfen. Vielen Menschen ist dieses Glück nicht beschieden.
    Der letzte Anstieg zum höchstgelegenen Punkt auf dem gesamten Jakobsweg, auf 1.420 Meter, forderte noch einmal unsere Kräfte heraus. Von der Passhöhe bot sich ein Ausblick auf das Kloster von Roncesvalles, das in einem Talkessel lag. Nachdem jeder, außer mir, seine Fotografiergelüste gestillt hatte, entschieden wir uns für die längere Wegstrecke, die im Reiseführer als nicht zu steil ausgewiesen war. Der Weg verlief über eine Asphaltpiste, bergab zum geschichtsträchtigen Ibañetapaß, über den im Jahre 778 das Heer Karl des Großen nach dem Rückzug vom Spanienfeldzug gegen die Mauren gezogen war. Ein Denkmal erinnerte an den Helden Roland, der auf dem Pass sein tragisches Ende gefunden hatte. Meine Gefährten hatten sich schon einige hundert Meter von mir entfernt, als ich nach einem kurzen »Austritt« zurück auf den Feldweg kam. Irgendetwas Außergewöhnliches schien sich um meine Begleiter zu ereignen, die im Halbkreis um einen Mann standen, der einen Gegenstand in seinen Händen hielt. Als ich näher kam, sah ich, wie ein schwarzhaariger Mitvierziger Melittas Handgelenk mit Wasser aus einem grauen Tonkrug erfrischte. Ehrfurcht stieg in mir auf, als auch ich in den Genuss des Rituals kam, das erquickend und aufbauend war. Das von Alexander angebotene Geld lehnte er mit einem Lächeln ab. Er hat bereits seinen Lohn, dachte ich. Wir bedankten uns und stellten nach wenigen Minuten fest, dass sich unsere Schritte nun leichter anfühlten.
    Auf einer kleinen Anhöhe entdeckte ich zwei Holzkreuze. Ich stieg hoch und las die Namen von Pilgern, die dort ihre letzte Ruhestätte gefunden hatten. Nach einem Gebet waren meine Gefährten aus meinem Blickfeld verschwunden. Gegen halb vier erreichte ich glücklich und wohlbehalten das Kloster, wo mich Constantin, der sicherlich einer der Ersten gewesen war, begrüßte. Vor dem Pilgerbüro, das um vier Uhr geöffnet wurde, warteten zahlreiche Pilger, um einen Stempel für ihren Pilgerpass und eine Schlafgelegenheit zu erhalten.
    Im Büro füllte ich ein vom Gastgeber verlangtes Formular mit Fragen nach Name, Herkunft und Grund der Pilgerschaft aus, bekam meinen Stempel und zahlte die geforderten fünf Euro für die Übernachtung. Anschließend nahm ich meinen Rucksack, folgte dem Beispiel meiner Vorgänger und spazierte in den riesigen Schlafsaal, wo mir ein freundlicher Hospitalero aus Holland ein Bett zuwies.
    In dem großen Schlafsaal herrschte eine besondere Atmosphäre. Alexanders Worte, zwei Stunden zuvor, klangen noch in meinem Ohr: »Mit hundert Heringen soll ich gemeinsam in einem Raum schlafen?« Wir machten ihn darauf aufmerksam, dass er schließlich auch einer von diesen hundert »Heringen« sei. Ich stellte meinen Rucksack neben das Bett und breitete meinen Schlafsack aus. Um Gewicht einzusparen, benutzte ich für die Reinigung meiner Haare, meines Körpers und meiner Kleidung lediglich Haarshampoo. In Unterwäsche und Socken, mein Hemd unterm Arm, stieg ich unter die Dusche und wusch meine verschwitzten Sachen gleich mit. So hatte ich stets saubere Wäsche. Die Sonne verrichtete an diesem Tag einen guten Dienst, sodass alle Pilger sich über ein schnelles Wäschetrocknen freuen konnten. Mir wurde bewusst, dass Regenwetter das Pilgerleben erschweren würde.
    Ich befestigte meine Wäsche an einen Weidezaun, weil die fünfzig Meter lange Wäscheleine, die sich unmittelbar davor befand, schon belegt war. Auf einer Bank entdeckte ich Alexander und Melitta, mit denen ich mich über die erste Etappe unterhielt. Immer mehr Pilger bevölkerten die umliegenden Wiesen und versorgten ihre Wäsche. Trotz der Betriebsamkeit herrschte eine ruhige, angenehme Stimmung. Die holländischen Hospitaleros, ehemalige Pilger, sorgten für einen reibungslosen Ablauf und waren stets bereit, die zahlreichen Fragen zu beantworten sowie, wenn möglich, bei kleineren wie größeren Problemen behilflich zu sein. Im benachbarten Restaurant kaufte ich mit Brigitte und Rainer für sieben Euro einen Bon für das Abendessen.
    Unseren runden Tisch im stilvollen Restaurant bereicherten ein junger Mann aus Brasilien, zwei Frauen aus Italien, ein Italiener, der in Deutschland lebte, und ein lustiger Kerl aus Alaska. Ich fühlte
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