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Ein kleines Stück vom Himmel nur

Ein kleines Stück vom Himmel nur

Titel: Ein kleines Stück vom Himmel nur
Autoren: Amelia Carr
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dir heim.«
    Er war bei mir, als ich unerwartet in ein Gewitter geriet, der Regen sturzbachartig über die Windschutzscheibe lief und die Luftturbulenzen mich hin und her warfen wie einen verletzten Schmetterling. Und auch damals, als sich irgendetwas überhitzte. Ich spürte die Wärme an meinen Füßen und konnte den verbrannten Geruch sogar noch über Grandpa Joes Tabak hinweg riechen. Ich musste einen Notruf absetzen und schnell zum Flugplatz zurückfliegen, wo mir ein Feuerwehrwagen die Landebahn entlang folgte. Und dabei war das in England passiert – das muss man sich mal vorstellen! Grandpa Joe ist wirklich nicht wählerisch. Wo ich auch fliege, er ist immer bei mir.
    In diesem Moment genießt er gerade, genau wie ich, die Freiheit, die man spürt, wenn man in beinahe absoluter Ruhe über den saftig grünen Mangrovenwäldern dahinschwebt. Natürlich hört man das gleichmäßige Dröhnen des Motors und gelegentlich das Klappern der Türen und Fenster in ihren Rahmen oder das sanfte Rütteln des Windes, der über die Tragflächen gleitet. Doch das sind angenehme Geräusche, sie tragen ihr Teil zu dem Gefühl von Ruhe und Frieden bei, ähnlich wie das leise Schnarchen eines Menschen, der tief und fest schläft. Ich vermute, dass Grandpa ebenso den scharfen Blick in die Ferne richtet und nach allem Ausschau hält, was unseren Luftraum stören könnte. Genau wie ich würde er am liebsten nicht in die Wirklichkeit zurückkehren. Doch leider müssen wir das, Grandpa Joe. Wir können uns nicht die ganze Zeit hier oben herumdrücken.
    Ich drossele die Leistung und senke die Nase der Cessna. Eine schnurgerade Straße glänzt silbrig in der Mittagshitze, und vor mir liegen die ersten der Ten Thousand Islands, verstreut wie die Perlen einer gerissenen Kette im glitzernden Blau des Golfs von Mexiko. Ich steuere auf die Brücke zu, diesen erstaunlich grellweißen Bogen, der Varna mit dem Festland verbindet. Ich sinke auf ein paar Tausend Fuß, während ich das ruhige Wasser in der kreisförmigen Bucht unter mir absuche und hoffe, ein Manatee zu entdecken. Aber heute habe ich kein Glück. Die Manatees halten sich versteckt.
    Plötzlich spüre ich einen schmerzhaften Stich im Herzen. Als ich klein war, hat Grandpa Joe mir immer die Manatees gezeigt: dunkle Erhebungen, die aussehen wie rutschige Felsen. Doch diesmal gilt mein Schmerz nicht der Vergangenheit, die für immer verschwunden ist, sondern ich trauere um etwas, was vielleicht niemals sein wird.
    Ich würde die Manatees so gern meinem eigenen Kind zeigen. Ich würde so gern hören, wie es vor Begeisterung die Luft einzieht, und sein staunendes kleines Gesicht sehen, wenn es die Augen weit aufreißt und den Mund zu einem atemlosen »O« formt. Sogar hier oben, in einer von Grandma Nancys Cessnas, kann ich der Sehnsucht nicht entfliehen, die von Tag zu Tag, von Woche zu Woche und Monat zu Monat wächst und sich zu einer regelrechten Besessenheit entwickelt.
    Ich bin sechsunddreißig. Wenn ich nicht bald ein Kind bekomme, wird es irgendwann zu spät sein. Durch meine eigene Dummheit habe ich die fruchtbaren Jahre verstreichen lassen. Ich habe sie mit einem Mann vergeudet, der niemals mir gehören oder der Vater meiner Kinder sein wird – wie ich mir schließlich eingestehen musste. Und die Männer, die sich vielleicht als Vater geeignet hätten, sind inzwischen alle mit anderen Frauen verheiratet und haben sich hinter Hypotheken, Windelbergen und gemütlicher Häuslichkeit verschanzt. Vor zehn Jahren wimmelte es in meinem Umkreis nur so von verfügbaren Männern, auch wenn sie ebenso wenig bereit zu sein schienen, sich häuslich niederzulassen, wie ich es damals war. Inzwischen gibt es nur noch Fergus, und ich bin mir ganz und gar nicht sicher, ob ich den Rest meines Lebens mit ihm verbringen will, obwohl er mich ständig zu überzeugen versucht, dass genau das mein innigster Wunsch sei. Er ist ein guter Freund, aber mehr nicht – und ursprünglich war er noch nicht mal mein Freund, sondern der meiner Schwester. Ihr Verlobter sogar. Selbst wenn ich in Fergus verliebt wäre, was ich nicht bin, müsste ich mir sagen, dass ich im Laufe meines Lebens bereits weiß Gott genug abgelegte Sachen von Belinda geerbt habe.
    Doch was habe ich für eine Wahl? Möglichkeit Nummer eins: Ich heirate Fergus, der mich
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