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Ein Jahr in Lissabon

Ein Jahr in Lissabon

Titel: Ein Jahr in Lissabon
Autoren: Sylvia Roth
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zahlreiche weitere Lernerfolge verbuchen, die ich wie stolze Trophäen in meinem Notizbuch gesammelt habe:
    • Nach zwei Wochen Intensivsprachkurs nenne ich einen Wortschatz von etwa 300 portugiesischen Vokabeln mein eigen, darüber hinaus rudimentäre Kenntnisse der portugiesischen Grammatik und eine kleine Sammlung von Lieblingswörtern. Diese Sammlung habe ich mir aus strategischen Gründen angelegt: Ich brauche sie schlicht und ergreifend, um mich bei Laune und bei der Stange zu halten, wenn ich mich mal wieder wie ein Kleinkind beim verzweifelten Ringen um Ausdruck fühle. Es ist eine recht eigenwillige Sammlung und zugegebenermaßen eine, die nicht unbedingt den Erfordernissen des Alltags standhält. Aber sie gefällt mir. An oberster Stelle steht ein Wort, das einfach unschlagbar ist: „pastilha elástica“ (sprich: päschtilja eläschtikä). Das heißt Kaugummi, und wie es die Portugiesen schaffen, einem so prosaischen Gegenstand Poesie einzuflößen, erhält meine höchste und sprachloseste Bewunderung. Nicht minder poetisch finde ich „o céu da boca – der Himmel des Mundes“, soll heißen: Gaumen. Ganz besonders gern höre ich auch „é verdade – das stimmt“. Vor allem wenn ältere Portugiesen männlichen Geschlechts dieses Wort benutzen, klingt es wie ein kräftiger alter Wein oder wie eine knarrende Tür: Ä vrdäd.
    Ich würde nicht so weit gehen, zu behaupten, dass ich mich mit der portugiesischen Sprache angefreundet habe, aber ich habe Seiten an ihr entdeckt, die ich charmant finde. Und die ich mir ins Gedächtnis rufe, wenn ich abends ab 18 Uhr vor lauter Erschöpfung nur noch in Infinitiven reden kann. Oder wenn ich nachts aufwache, weil ich mal wieder vom Dativ geträumt habe.
    • Darüber hinaus habe ich festgestellt, dass ich über ein beachtliches hochstaplerisches Potenzial verfüge. Darauf greife ich jeden Tag zurück, nämlich immer dann, wenn ich in ein kleines Café namens „Sol e mar“ in der Nähe des Coliseugehe, wo es für vier Euro einen hervorragenden Mittagstisch, einen „prato do dia“, gibt und wo ich Russisch Roulette zu spielen pflege – Russisch Roulette auf Kulinarisch. Vier Gerichte stehen täglich zur Auswahl, mit schwarzem Filzstift auf eine Papiertischdecke geschrieben und an die Eingangstür geheftet – vier Gerichte, deren Namen ich nie gehört habe und von denen ich nur so viel verstehe, dass zwei davon Fisch und zwei davon Fleisch enthalten. Natürlich will ich mir nicht die Blöße geben, unter all den Portugiesen, die dort zu Mittag essen, das Dicionário aus der Tasche zu holen – es würde dieses geheimbündlerische Küchen-Vokabular sowieso nicht kennen. Deshalb gehe ich täglich aufs Ganze und wähle nach phonetischen Vorlieben aus. Ich versuche, so professionell wie möglich zu bestellen, indem ich alle bisher gelernten Regeln der Aussprache berücksichtige und mir außerdem gegenüber der Bedienung nicht anmerken lasse, dass ich keine Ahnung habe, wovon ich spreche. Während ich auf das Essen warte, blättere ich interessiert in einer portugiesischen Tageszeitung und bleibe nur zufällig länger an den Fotografien als am Leitartikel hängen. Und wenn das Essen dann serviert wird, zucke ich mit keiner Wimper. Wirklich, mit keiner Wimper. Auch dann nicht, wenn sich herausstellt, dass es sich bei dem so lieblich und vielversprechend klingenden Namen „Dobrada à Portuguesa“ um Kutteln handelt.
    • Und schließlich habe ich mich in einer der zentralen Disziplinen des portugiesischen Alltags schlau gemacht und weiß nun, wie man sich landesgerecht begrüßt und verabschiedet: Küsschen links, Küsschen rechts; auch wenn man das Gegenüber noch gar nicht kennt, ist sofort Tuchfühlung angesagt. Anfangs ist das für mich so ungewohnt, dass ich den neuen Bekanntschaften, die sich just dann zu mir herüberbeugen, wenn ich zum förmlichen deutschen Gruß ansetze,beinahe die ausgestreckte Hand in den Bauch ramme. Küsschen, „Beijinhos“ genannt, gibt man sich auch zum Abschied – und sogar am Telefon. „Está bem, até logo! Bis später. Beijinhos, beijinhos!“ So ungefähr kann ein portugiesisches Telefongespräch enden, wobei die Bejschiiieeenhosch auf dem mittleren Vokal genießerisch in die Länge gezogen und mit viel Liebe in der Stimme gewürzt werden.
    Noch viel besser als das Ende gefällt mir allerdings die Eröffnung eines Telefongesprächs, und da in Portugal viel und gerne und überall mit dem Telemóvel gesprochen wird – auf
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