Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Herzschlag bis zur Ewigkeit

Ein Herzschlag bis zur Ewigkeit

Titel: Ein Herzschlag bis zur Ewigkeit
Autoren: Trevanian
Vom Netzwerk:
seiner Mutter, harten Burschen von irgendwoher aus dem Osten der Stadt, und sollte einen Zuhälter namens Scheer übergeben werden. Der Lieutenant kennt diesen Scheer und wartet schon lange auf eine Gelegenheit, ihn von der Main wegzukriegen. Bis jetzt hat er noch nichts gegen ihn in der Hand und muß sich damit begnügen, ihm ständig auf der Pelle zu bleiben. Er überlegt kurz, ob er Scheer durch die Aussage des Lahmen diesmal erwischt, läßt den Gedanken aber wieder fallen, weil er weiß, wie ein gewiefter Verteidiger diesen Halbidioten im Zeugenstand auseinandernehmen würde.
    »In Ordnung«, sagte LaPointe. »Nun hör mal gut zu. Und sag das deiner Mutter. Ich möchte dich in meinem Revier nicht mehr sehen. Ich geb' dir vier Wochen, da kannst du dich woanders umsehen. Verstanden?«
    »Aber, Lieutenant – jei, jei? Wo soll ich denn hin? Meine ganzen Freunde hab' ich doch hier!«
    LaPointe zuckt die Achseln. »Sag's deiner Mutter. Vier Wochen.«
    »Okay. Ich sag's ihr. Aber mir stinkt es, wenn ich ihr Ärger mache. Schließlich … ist sie ja meine Mutter.«
    LaPointe sitzt mit eingesunkenen Schultern an der Theke eines Cafés und beobachtet gleichgültig die Passanten vor der Scheibe.
    Ein kleines weißes Radio auf einem Regal hinter dem Wirt behauptet steif und fest:
    Alle haben einen irren Bock, Oh, yes! Oh, yes!
Oh, yes! O-o-h, yes!
Alle habn 'nen Bock auf den Montreal Rock!
    LaPointe seufzt und kramt in seiner Tasche nach Kleingeld für den Kaffee. Beim Aufstehen bemerkt er ein Schild über dem Kopf des Wirtes. »Das ist falsch«, sagt er. »Das schreibt sich anders.«
    Der versetzt einem brutzelnden Hamburger einen letzten Klaps mit dem Spatel und dreht sich nach dem Schild um.
    A PPL P IE  – 30 C
    Er zuckt die Achseln. »Ja, ich weiß. Ich hab' mich auch beschwert, da hat's der Maler billiger gelassen.«
    »Samuel?« fragt LaPointe und meint damit den alten Mann, der auf diesem Teil der Main fast alle Schilder malt.
    »Ja.« Der Wirt zieht als typischer Frankokanadier bei oui die Luft ein.
    LaPointe lächelt vor sich hin. Der alte Samuel macht immer phantasiereiche Schilder mit Unterstreichungen und Schnörkeln und Ausrufezeichen, alles im Preis inbegriffen. Er verstreut geradezu verschwenderisch Gänsefüßchen, auch da, wo dem Kunden leichte Zweifel kommen müssen, wenn er etwas liest:
    T ÄGLICH › FRISCHE ‹ F ISCHE
    Er ist ein freischaffender Künstler, auch in dem Sinne, daß er schreibt, wie er spricht. Der Wirt kann schon froh sein, daß auf seinem Schild nicht steht:
    E PP ' L P IE
    Keine fünfzig Schritte von der Main, die Rue Napoléon runter, haben sich Lärm und Gedränge verflüchtigt, die Geräuschkulisse hat sich auf ein gleichmäßig sonores Dröhnen eingepegelt. Die enge alte Straße wird beleuchtet von weit auseinanderstehenden Straßenlaternen und hier und da von blind gewordenen Schaufenstern. Auf den Vortreppen dreistöckiger Reihenhäuser aus Backstein spielen Kinder. Über den Dächern zerfranst der Lichterschein der Stadt die feuchte, rußhaltige Luft. Jedes Haus ist auf das andere angewiesen, weil es sonst einstürzen würde. Und wenn bisher noch nichts passiert ist, so nur deshalb, weil jedes in eine andere Richtung umfallen will und dafür kein Platz ist.
    Es ist nach acht Uhr und kalt, doch die Kinder spielen weiter, bis der barsche Ruf einer aufgebrachten Mutter ihnen nach dem vierten oder fünften Mal Beine macht und sie widerwillig die Stufen raufschlurfen und ab ins Bett, wahrscheinlich ein Sofa in einem Vorderzimmer oder eine Liege, die die Diele blockiert, mit dünnen klebrigen Wolldecken, die die Körperwärme aufsaugen, ohne sie zu halten.
    LaPointe lehnt sich an das Geländer einer verlassenen Vortreppe und hält sich fest, als das Prickeln in seiner Brust losgeht. Er kennt inzwischen dieses Gefühl, eine angenehm unangenehme Reizung in der Brust und in den Oberarmen, als ob Selterwasser durch die Adern fließt. Manchmal folgen Schmerzen auf das Prickeln. Das Blut sprudelt in seiner Brust; er schaut zum lichtverschmierten Himmel und atmet langsam, wartet auf den kleinen Stich beim Ausatmen, der aber zu seiner Erleichterung ausbleibt. Ein paar Häuser weiter spielen ein paar Gören rond-rond. Nach jeder Strophe ihres Singsangs lassen sich alle kichernd zu Boden fallen. Die Kinder, die englisch sprechen, spielen mit, nur singen sie andere Worte. Alle Kinder Europas bewahren eine atavistische Erinnerung an den Schwarzen Tod. Sie drehen sich im Kreise wie im
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher