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Ein ganzes halbes Jahr

Ein ganzes halbes Jahr

Titel: Ein ganzes halbes Jahr
Autoren: Jojo Moyes
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wäre ich eine Barfrau, aber ohne den Ärger mit Betrunkenen.
    Und dann, an diesem Nachmittag, als das Mittagsgeschäft vorbei und niemand mehr im Café war, wischte sich Frank die Hände an seiner Schürze ab, kam hinter der Theke hervor und drehte das ‹Geschlossen›-Schild an der Tür um.
    «Na, na, Frank. Ich hab dir von Anfang an gesagt, dass Extras bei meinem Hungerlohn nicht inklusive sind.» Frank war, wie es Dad ausdrückte, so schwul wie ein blaues Gnu. Ich sah auf.
    Er lächelte nicht.
    «Oh-oh. Ich habe wieder Salz in die Zuckerstreuer gefüllt, oder?»
    Er drehte ein Geschirrtuch zwischen den Händen zusammen und schien sich schrecklich unbehaglich zu fühlen. Ich überlegte kurz, ob sich jemand über mich beschwert hatte. Und dann winkte er mich zu einem Tisch.
    «Es tut mir leid, Louisa», sagte er, «aber ich gehe zurück nach Australien. Mein Vater ist ziemlich krank, und es sieht so aus, als würden sie auf der Burg demnächst wirklich das Café aufmachen, von dem schon so lange die Rede ist. Es ist beinahe sicher.»
    Ich glaube, ich saß tatsächlich mit offenem Mund vor ihm. Und dann gab mir Frank den Umschlag und beantwortete meine nächste Frage, noch bevor ich sie ausgesprochen hatte. «Ich weiß, dass wir nie so etwas wie einen richtigen Vertrag oder so hatten, aber ich wollte dich nicht einfach so wegschicken. Hier drin ist das Geld für drei Monate. Morgen schließen wir.»

    «Drei Monate!», rief mein Vater erbost, während mir Mum einen Becher mit gezuckertem Tee in die Hand drückte. «Tja, das ist wirklich großzügig von ihm, wenn man bedenkt, dass sie sechs Jahre lang wie ein verdammter Ackergaul für ihn geschuftet hat.»
    «Bernard.» Meine Mutter warf ihm einen ermahnenden Blick zu und nickte Richtung Thomas. Meine Eltern hüteten ihn jeden Tag nach der Schule, bis Treena von der Arbeit kam.
    «Was zum Teufel soll sie jetzt machen? Er hätte es ihr auch ein bisschen früher ankündigen können, verflucht noch mal.»
    «Nun … sie muss sich einfach eine andere Arbeit suchen.»
    «Es gibt keine Stellen, Josie. Das weißt du doch genauso gut wie ich. Wir stecken mitten in einer verdammten Rezession.»
    Mum schloss einen Moment die Augen, als müsste sie sich sammeln, bevor sie weitersprach. «Sie ist ein intelligentes Mädchen. Sie wird schon etwas finden. Sie bekommt ein gutes Arbeitszeugnis. Und Frank wird ihr noch eine Empfehlung schreiben.»
    «O ja, das wird fabelhaft. Louisa Clark kann sehr gut Toast buttern und ist ein Vollprofi beim Teeausschenken. »
    «Vielen Dank für die Unterstützung, Dad.»
    «Ich mein ja nur.»
    Ich kannte den tatsächlichen Grund für Dads Beunruhigung. Sie waren auf mein Einkommen angewiesen. Treena verdiente im Blumenladen so gut wie nichts. Mum konnte nicht arbeiten gehen, weil sie sich um Großvater kümmern musste, und dessen Rente konnte man praktisch vergessen. Dad lebte in ständiger Angst davor, seine Arbeit bei der Möbelfabrik zu verlieren. Sein Chef ließ schon seit Monaten Bemerkungen über mögliche Entlassungen fallen. Zu Hause redeten sie immer häufiger hinter vorgehaltener Hand über Schulden und jonglierten mit Kreditkarten herum. Zwei Jahre zuvor hatte ein Autofahrer ohne Versicherung an Dads Wagen einen Totalschaden verursacht, und das hatte gereicht, um das ganze wacklige Finanzgerüst meiner Eltern zum Einsturz zu bringen. Meine bescheidenen Einkünfte hatten den größten Teil des Haushaltsgeldes ausgemacht und die Familie von Woche zu Woche über Wasser gehalten.
    «Machen wir uns nicht verrückt», sagte Mum. «Sie kann morgen ins Jobcenter gehen und gucken, was angeboten wird. Fürs Erste kommt sie ja noch durch.» Sie redeten, als wäre ich nicht dabei. «Und sie ist klug. Du bist doch klug, oder, Liebes? Vielleicht kann sie einen Computerkurs machen. Im Büro arbeiten.»
    Ich saß nur da, während meine Eltern darüber diskutierten, was mit meinen geringen Qualifikationen sonst noch für mich in Frage kam. Fabrikarbeiterin, Putzfrau? Brötchenschmiererin? Zum ersten Mal an diesem Nachmittag hätte ich am liebsten geheult. Thomas starrte mich mit weit aufgerissenen Augen an und schob mir wortlos die Hälfte eines feuchten Kekses in die Hand.
    «Danke, Tommo», hauchte ich tonlos und aß den Keks.

    Er war unten im Sportzentrum, wie ich es mir gedacht hatte. Von Montag bis Donnerstag saß Patrick pünktlich wie die Bahnhofsuhr dort an den Trainingsgeräten oder absolvierte im Stadion unter Flutlicht sein Lauftraining.
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