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Ein Ganz Besonderer Fall

Ein Ganz Besonderer Fall

Titel: Ein Ganz Besonderer Fall
Autoren: Ellis Peters
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wieder erheben würden, das stand außer Zweifel. »Um es freundlich auszudrücken«, sagte er vorsichtig, »könnte seine Lordschaft seine Freiheit, seine Sicherheit und sein Leben in diesem Fall für eine keineswegs geringe Sache erachten. Manch einer wurde berufen, demütig das Los eines Märtyrers auf sich zu nehmen, doch sollte dies für nichts Geringeres als für den Glauben geschehen. Und ein toter Bischof kann seiner Kirche nicht mehr dienen, genau wie ein Legat, der im Gefängnis sitzt, dem Heiligen Vater nichts nützt.«
    Bruder Oswin dachte eine Weile schweigend nach. Er mußte den Einwand verdauen und fand ihn anscheinend etwas fragwürdig, oder vielleicht glaubte er auch nur, daß er das Argument nicht recht verstanden habe. So fragte er unschuldig:
    »Bruder, würdet Ihr noch einmal die Waffen erheben?
    Nachdem Ihr ihnen doch abgeschworen habt? Könnt Ihr Euch einen Grund dafür vorstellen?«
    »Mein Sohn«, sagte Cadfael, »Ihr habt es heraus, Fragen zu stellen, die nicht beantwortet werden können. Woher soll ich wissen, was ich in großer Not tun würde? Als Ordensbruder wünsche ich natürlich, keinem Menschen Gewalt antun zu müssen, aber trotzdem hoffe ich, daß ich mich nicht abwende, wenn ich unschuldige oder hilflose Menschen leiden sehe.
    Vergeßt nicht, daß der Bischof einen Stab trägt, mit dem er die Herde zugleich schützt und hütet. Sollen sich die Prinzen und Kaiserinnen und Krieger um ihre Pflichten kümmern. Kümmert Ihr Euch um Eure, dann wird es Euch gut ergehen.«
    Sie näherten sich dem Trampelpfad, der den grasbewachsenen Hang zum Tor im Rutenzaun hinaufführte.
    Das kleine Türmchen der Kapelle lugte über das Dachdes Hospizes heraus. Bruder Oswin tänzelte den Hang hinauf. Sein Puttengesicht strahlte erwartungsvoll; er war bereit, sich den neuen Aufgaben zu stellen, und zuversichtlich, daß er sie meistern würde. Wahrscheinlich würde er kaum einem Fettnäpfchen entgehen, doch würde ihn keines lange aufhalten, und keines würde seinen brennenden Eifer dämpfen.
    »Und merkt Euch alles, was ich Euch gelehrt habe«, sagte Cadfael. »Ihr müßt Bruder Simon gehorchen. Ihr werdet eine Weile unter ihm arbeiten, wie er unter Bruder Mark gearbeitet hat. Der Aufseher ist ein Laie aus der Vorstadt, aber abgesehen von seinen gelegentlichen Besuchen und Inspektionen werdet Ihr ihn kaum sehen. Er ist ein braver Mann, der stets ein offenes Ohr für einen guten Rat hat. Auch ich selbst werde hin und wieder vorbeischauen, falls Ihr mich brauchen solltet.
    Kommt, ich will Euch alles zeigen.«
    Bruder Simon war ein gemütlicher, rundlicher Mann von etwas über vierzig Jahren. Er kam, mit einem spindeldürren, etwa zwölfjährigen Jungen an der Hand, heraus und begrüßte sie auf der Terrasse. Die Augen des Knaben blickten im Weiß der Blindheit, doch ansonsten war er gesund und hübsch und keinesfalls der traurigste Anblick, der sich hier bot. In diesem Haus fanden die Siechen und Kranken Zuflucht und Abgeschiedenheit für ihre ansteckenden Krankheiten, denn es war ihnen nicht erlaubt, diese zu den Gesunden in die Stadt zu tragen. Krüppel sonnten sich im kleinen Obstgarten hinter dem Hospiz; arme, von Pocken entstellte Männer und verblühte Frauen wanden Bänder für die Strohgarben, die in der Scheune aufgestapelt wurden. Wer noch ein wenig Arbeit leisten konnte, trug gern zu seinem Lebensunterhalt bei, und wer es nicht mehr konnte, lag reglos in der Sonne, vorausgesetzt, er hatte keinen Hautausschlag, der durch die Hitze schlimmer wurde. Die Kranken der letzteren Gruppe hielten sich im Schatten der Obstbäume, und die Kranken mit Fieber blieben in der kühlen Kapelle.
    »Im Augenblick«, erklärte Bruder Simon, »haben wir achtzehn Kranke, was für einen so heißen Sommer gar nicht schlecht ist. Drei sind noch gut bei Kräften und erholen sich von ihrer Krankheit, die nicht ansteckend war. Sie werden uns in wenigen Tagen verlassen. Aber andere werden kommen, junger Mann, es kommen immer neue. Sie kommen und gehen.
    Manche gehen auf der Straße, manche gehen ganz aus dieser Welt. Sie könnten es schlechter treffen, als hier durch diese letzte Tür zu gehen.«
    Er sprach ein wenig wie ein Prediger, was Cadfael innerlich lächeln ließ, als er sich an Marks liebenswerte Schlichtheit erinnerte, doch er war ein guter Mann, er arbeitete schwer, war voller Mitgefühl und konnte mit seinen großen Händen kräftig zupacken. Oswin würde seine Predigten mit Verehrung und Staunen aufnehmen und
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