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Ein Fall für Kay Scarpetta

Ein Fall für Kay Scarpetta

Titel: Ein Fall für Kay Scarpetta
Autoren: Patricia Cornwell
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grauen Haars teilten sich in einem tief angesetzten Scheitel und waren über die Halbglatze gekämmt. Er war mindestens einen Meter achtzig groß und hatte einen Bauch vom jahrzehntelangen Trinken von Bourbon oder Bier. Seine unmodisch breite rotweiß gestreifte Krawatte war speckig vom Schweiß vieler Sommer. Marino entsprach dem Klischee eines Action-Film-Helden - ein ordinärer, grober Schnüffler, der vermutlich einen aus dem Maul stinkenden Pudel als Haustier hielt und einen Couchtisch voller Sexmagazine hatte.
    Ich ging den langen Korridor hinunter und hielt vor dem großen Schlafzimmer an. Ich fühlte, wie ich innerlich dumpf wurde. Ein ID-Officer war eifrig dabei, alle Oberflächen mit schwarzem Puder zu bestreichen; ein zweiter Officer hielt alles auf Video fest. Lori Petersen lag auf dem Bett, die blauweiße Decke hing am Fußende herunter. Der Bettbezug war nach unten gezogen und unter ihre Füße gestopft worden, das Leintuch hatte sich an den Ecken gelöst, so daß die Matratzen darunter herausschauten, die Kissen waren auf die rechte Seite ihres Kopfes gedrückt. Das Bett war das Zentrum eines gewaltigen Kampfes, umgeben von der hellen Einrichtung aus polierter Eiche eines Mittelklasseschlafzimmers.
    Sie war nackt. Auf dem bunten Flickenteppich rechts von dem Bett lag ihr blaßgelber Baumwollmorgenmantel. Er war aufgeschlitzt vom Nacken bis zur Hüfte, und diese Vorgehensweise stimmte mit der bei den ersten drei Opfern überein. Auf dem Nachttisch, der nahe an der Tür stand, stand ein Telefon, das Kabel war aus der Wand gerissen. Die Lampen auf beiden Seiten des Bettes waren ausgeschaltet, ihre Kabel durchtrennt. Mit einem Kabel waren ihre Handgelenke auf den Rücken gefesselt. Das andere Kabel war in teuflisch einfallsreicher Weise um sie gebunden, was auch mit den anderen drei Fällen übereinstimmte. Es war zunächst um ihren Nacken geschlungen, dann durch das Kabel um ihre Handgelenke hindurchgezogen und fest um ihre Fußgelenke geknotet. Solange ihre Knie gebeugt waren, blieb die Schlinge um ihren Hals locker. Wenn sie ihre Beine streckte, in einem Reflex von Schmerz oder wegen des Gewichts des Vergewaltigers auf ihr, zog sich die Schlinge um ihren Hals zusammen.
    Tod durch Ersticken benötigt nur wenige Minuten. Das ist aber eine sehr lange Zeit, in der jede einzelne Zelle des Körpers nach Sauerstoff schreit.
    "Sie können hereinkommen, Doc", sagte der Officer mit der Videokamera. "Ich habe alles gefilmt."
    Vorsichtig trat ich auf das Bett zu, setzte meine Tasche auf dem Boden ab und holte ein Paar Chirurgenhandschuhe heraus. Dann nahm ich meinen Fotoapparat und machte einige Aufnahmen von der Leiche in situ. Ihr Gesicht sah grotesk aus, zur Unkenntlichkeit angeschwollen, blauviolett durch das Austreten von Blut, hervorgerufen durch die enge Schlinge um ihren Hals. Aus der Nase und aus dem Mund waren blut ige Sekrete geflossen und hat ten das Leintuch verfärbt. Ihr strohblondes Haar war total zerzaust. Sie war relativ schlank, nicht weniger als einen Meter sechzig groß und eindeutig kräftiger als auf den Fotos unten im Gang. Ihre körperliche Erscheinung war wichtig, denn das Fehlen eines Systems wurde zu einem System. Die vier Ermordeten schienen kein körperliches Merkmal gemeinsam zu haben, nicht einmal die Rasse. Das dritte Opfer war schwarz und sehr schlank gewesen, das erste war rothaarig und pummelig, das zweite brünett und zart. Sie hatten verschiedene Berufe gehabt: eine Lehrerin, eine Schriftstellerin, eine Empfangsdame und nun eine Ärztin. Sie lebten in verschiedenen Vierteln der Stadt.
    Ich nahm ein langes Thermometer aus meiner Tasche und prüfte die Temperatur im Zimmer, dann die ihres Körpers. Die Luft hatte einundzwanzig, ihr Körper dreiunddreißigeinhalb Grad. Die Todeszeit ist ziemlich enttäuschend für die meisten Leute. Sie kann nicht genau bestimmt werden, es sei denn, es gibt einen Zeugen oder die Timex-Uhr des Opfers bleibt stehen. Aber Lori Petersen war noch nicht länger als drei Stunden tot. Ihr Körper war ein bis zwei Grad pro Stunde abgekühlt, und die Totenstarre hatte in den kleinen Muskeln bereits eingesetzt.
    Ich suchte nach Spuren, die die Fahrt zum Leichenschauhaus nicht überstehen würden. Es gab kein fremdes Haar auf ihrer Haut, aber ich fand eine Vielzahl von Fasern, von denen die meisten zweifellos von der Bettdecke stammten. Mit einer Pinzette nahm ich ein paar davon auf, ganz kleine weiße, und mehrere, die aus einem dunkelblauen oder schwarzen
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