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Ein Ende des Wartens

Ein Ende des Wartens

Titel: Ein Ende des Wartens
Autoren: Christian Knieps
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hatte und las an der Stelle weiter, an der sie vor einigen Tagen aufgehört hatte. Doch plötzlich fiel ihr auf, dass sie einige Parallelen mit der Frau besaß und schon wurde ihr das Buch unheimlich. Annika wollte nicht lesen, was eine andere geschafft hatte, woran sie selbst vielleicht scheiterte. Dass sie ihr Leben im nächsten Jahr anders organisieren musste, war ihr bewusst. Warum hatte sie sich heute nur frei genommen? Auf der Arbeit würde es ihr viel leichter fallen abzuschalten, weil sie sich auf die Arbeit konzentrieren musste. Hier, in der einsamen Wohnung, war es ihr, als ob sie ein Fremdkörper wäre, einer, der nicht mehr hierher gehörte. Und das, obwohl es ihre eigene Wohnung war.
Einkaufen! Ein wenig durch die Stadt schlendern – shoppen! Da ihr nichts Besseres einfiel, zog sie sich ein weiteres Mal um, schnappte sich ihre Handtasche, prüfte, wie viel Bargeld sie dabei hatte und verließ die Wohnung. Nach rechts, die Straße hinunter, gelangte sie zum Bus, doch zunächst musste sie in die andere Richtung, zur Bank, denn ihre Barschaft war sehr übersichtlich. Sie ging die Straße hinunter und gelangte an den Kassenautomaten, der keine richtige Bankfiliale, sondern mehr ein umbauter Einzelautomat war, der in einem kleinen Raum stand. Zumindest war eine Tür davor, sodass man allein in dem Raum war und merkte, wenn irgendwer dazukam. Normalerweise ging Marco Bargeld holen und brachte Annika was mit, doch dieses Mal wartete sie vor dem kleinen Innenraum, denn sie sah durch die gläserne Türe, dass sich zwei ältere Frauen gegenseitig halfen, mit dem Geldautomaten fertig zu werden.
    Annika betrachtete sich im reflektierenden Glas. Sie sah eine achtundzwanzig Jahre alte, schlanke Frau, die auch ohne Probleme für fünfundzwanzig oder sogar ein paar Jahre jünger geschätzt werden könnte. Hast gute Gene von deinen Eltern mitbekommen, schoss ihr durch den Kopf, ein Satz, den Tammy immer brachte, denn ihre beste Freundin sah viel älter aus als sie tatsächlich war. Es war sogar einmal vorgekommen, dass Annika in einer Diskothek gefragt wurde, ob es ihr nicht peinlich wäre, mit ihrer Mutter auszugehen. Derjenige, der Annika angesprochen hatte, erhielt die Standpauke seines Lebens und wurde danach von den beiden auch nicht mehr gesehen. Dabei war Tammy im selben Jahr wie Annika geboren, nur so früh im Jahr, dass sie jetzt schon neunundzwanzig war. Aber es stimmt schon, dachte sich Annika, dass Tammy manchmal wirkt, als wäre sie Mitte dreißig. Diesen Gedanken beiseite schiebend betrachtete sie sich weiter im Glas, schob eine Strähne ihres blonden Haares aus der Stirn und wartete geduldig darauf, dass die beiden älteren Damen fertig wurden.
    Als die beiden altersmilde lächelnd aus dem Innenraum kamen, wollten sie zunächst die Türe aufhalten, bis sie merkten, dass diese eingerastet war. Annika schob sich bedankend an den beiden vorbei, löste die Sperre und wartete, bis die Glastüre ins Schloss gefallen war. Sie kramte ihr Portemonnaie hervor, öffnete es und wollte schon die Karte herausziehen, als sie auf der anderen Seite ein Foto von Marco entdeckte, das sie schon seit Jahren mit sich herumtrug. Für einen kurzen Moment schwankten ihre Beine, doch dann zwang sie sich, die Karte herauszuziehen, um das Geld abzuheben.
Als sie genügend Bargeld in der Tasche hatte und aus dem Räumchen trat, schaute sie auf die Uhr und stellte fest, dass der nächste Bus planmäßig in drei Minuten abfuhr. Sie nahm ihre Beine in die Hand und war froh, dass sie sich für die Sneakers entschieden hatte. Entspannt und vor der Zeit gelangte sie an die Bushaltestelle und sah sich das neue Plakat an, das scheinbar seit diesem Tag dort hing, denn gestern war noch ein anderes zu sehen gewesen. Sie studierte die Konzerte, die es in diesem und im nächsten Monat auf der großen Wiese vor der Universität der Stadt geben sollte und notierte sich zwei Termine in ihrem Handy. Dann kam auch schon der Bus; sie zeigte ihr Jobticket und setzte sich in die erste Reihe nach der hinteren Eingangstüre. Dort saß sie fast immer, denn ihre Haltestelle war erst die dritte auf der Tour, und nur äußerst selten kam es vor, dass sich auf diese Bank jemand bereits gesetzt hatte.
Der Bus fuhr los und schaukelte sie durch den Vorort. Annika ließ ihre Gedanken schweifen, betrachtete die Menschen auf den Straßen ohne besonderes Interesse und dachte an nichts – bis ihr plötzlich Marcos Bild einfiel. Sie kramte nach ihrem Portemonnaie,
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