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Ein besonderer Junge

Ein besonderer Junge

Titel: Ein besonderer Junge
Autoren: dtv
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seine Auffassungen teilte.
    »Gut, Sie scheinen der Richtige zu sein. Ich werde meine Frau anrufen und Ihre Ankunft ankündigen. Wann können Sie in Horville sein? Je früher, desto besser, müssen Sie wissen. Sie hat mir zu verstehen gegeben, dass es immer schwieriger für sie wird.«
    Als ich ihn fragte, warum sein Sohn nicht in einer Facheinrichtung untergebracht sei, hob er die Arme zum Himmel.
    »Was glauben Sie, um was wir uns zuerst gekümmert haben? Er verbrachte einige Jahre in einer Tagesklinik, bis zu seinem vierzehnten Lebensjahr, das ist anscheinend die Altersgrenze. Dann fing der Ärger an. Wir zählen die Absagen nicht mehr: Alle Gründe mussten herhalten, es fehlte keine Ausrede, um ihn abzulehnen. Nur ein Internat in Belgien hat uns ein wenig Hoffnung gemacht: Dort steht Iannis auf der Warteliste, es kann ebenso gut einen Monat wie ein Jahr dauern. Deshalb haben wir für die Zwischenzeit Hilfe von Studenten gesucht, die sich tagsüber um ihn kümmern sollten. Doch keiner hat es länger als ein paar Wochen ausgehalten. Alle haben früher oder später behauptet, die Situation sei unerträglich für sie geworden   … Gewiss, Iannis ist ein schwieriges Kind, aber ihn als unerträglich zu bezeichnen!«
    Er kritzelte eine Adresse und eine Telefonnummer auf einen Zettel und streckte ihn mir entgegen.
    »Sie kennen Horville als Badeort ja von Ihren Sommerferien, aber waren Sie schon einmal außerhalb der Saison dort? Sicher nicht! Man kann sich nichts Ruhigeres vorstellen! Genau das hat meine Frau überzeugt, als wir uns nach einem passenden Ort umsahen. Die letzten Feriengäste haben ihre Koffer schon vor einem Monat gepackt   … aus Horville ist Morville geworden!«
    Mit einem kleinen Lachen tat ich so, als fände ich sein Wortspiel geistreich, während ich die Adresse des Hauses entzifferte: an der Mole, direkt am Meer.
    »Melden Sie sich bei meiner Frau, um sich mit ihr über Ihre Ankunftszeit zu verständigen. Vom Bahnhof in Caen verkehrt eine regelmäßige Buslinie. Und jetzt zu den Konditionen.«
    Ich hatte seinen Vorschlag kaum gehört, da erklärte ich mich auch schon einverstanden. Ich würde gut untergebracht sein und meine Mahlzeiten bekommen, die Dauer meiner Tätigkeit war unbegrenzt, da Iannis’ Mutter beschlossen hatte, Horville erst wieder zu verlassen, wenn ihr Roman fertig sei. Einer plötzlichen Eingebung folgend erwiderte ich, ich zöge es vor, mit dem Auto anzureisen, dem 2CV, mit dem ich mir meine ersten Sporen verdient hatte, würde mich hinbringen.

 
    »So, Sie sind also der glückliche Auserwählte?«
    Die ein wenig raue Stimme am Telefon ließ eine ironische Spitze durchklingen.
    »Ich hoffe, Sie werden es nicht bereuen! Wann können Sie anfangen?«
    Ein trockner Husten teilte den Satz. Ich schlug Iannis’ Mutter den nächsten Tag, nachmittags, vor. Sie gab mir die genaue Adresse, ich sagte ihr, sie sei mir bekannt.
    »Kommen Sie besser am Abend, wenn er zu Bett gegangen ist. Mir ist es lieber, wenn er Sie das erste Mal nach dem Aufwachen antrifft. Sie können kommen, wann Sie wollen, auch sehr spät, ich gehe nie vor Mitternacht schlafen.«
    Die Vorstellung, Horville bei Anbruch der Nacht wiederzusehen, gefiel mir. Ich würde mich im Laufe des Nachmittags auf den Weg machen, vier oder fünf Stunden brauchte ich bis zur Côte de Nacre. Jetzt musste ich nur noch meinen Eltern Bescheid sagen, ein paar Dinge einpacken, Flaubert und Rimbaud einstecken, die ich noch einmal lesen wollte, und los ging es!
    Meine Mutter machte sich Sorgen wegen der Dauer meines Jobs, mein Vater fragte sich, ob es mir guttun würde, wenn ich mich mit einem jungen Deppen einschließen würde, doch sie waren zufrieden, dass ich endlich eine Arbeit gefunden hatte, zudem in Horville, an das wir so viele Erinnerungen hatten. Sie erkundigten sich nach dem Beruf von Iannis’ Eltern. Ein Vater, der Personalchef in der obersten Etage eines Hochhauses im Viertel von La Défense war, beruhigte sie vollauf; von einer Autorin
spezieller
Romane konnte man das sicher nicht behaupten, deshalb zog ich es vor, ihnen die Tätigkeit der Mutter des Jungen zu verschweigen.
    Die Ente war, wie aus einem langen Schlaf erwacht, erst nach einigen vergeblichen Startversuchen bereit anzuspringen. Vom vertrauten Knarren der alten Blechkiste gewiegt, machte ich mich in Richtung Westen auf.
     

 
    Wir haben ein wenig von uns zurückgelassen
    auf der Erde unserer Kindheit, ein Haar von
    uns zwischen den Steinen auf einem Weg,
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