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Ein altes Haus am Hudson River

Ein altes Haus am Hudson River

Titel: Ein altes Haus am Hudson River
Autoren: Edith Wharton
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Mrs Weston.«Jetzt seid ihr siebzehn und neunzehn und wisst noch immer nicht, womit ihr euren Lebensunterhalt verdienen und wann ihr damit anfangen wollt.»
    Mae antwortete gereizt, sie wisse sehr wohl, was sie werden wolle, sie wolle nach Chicago gehen und Kunst studieren wie Leila Duxberry.
    « Ach, Chicago! Hier bei uns gibt es ab dem nächsten Jahr auch eine Kunstschule, angeschlossen an das College, genauso gut und bei Weitem nicht so teuer», sagte Mrs Weston, die alle Anzeichen von Unabhängigkeit bei ihren Schäflein eifersüchtig beäugte.
    Mae zuckte die Achseln und verdrehte die Augen, als wolle sie andeuten, Gespräche auf derart niederem Niveau interessierten sie nicht.
    Mr Weston trommelte mit den Fingern auf dem Tisch und nahm sich ein zweites Mal von den Pickles.«Und was ist mit Herrn Advance G. Weston? Hast du irgendeine Vorstellung, worauf du dich zu spezialisieren gedenkst, Söhnchen?»
    Vance öffnete den Mund, um zu antworten. Seit jeher wünschte sein Vater, dass er Immobilienmakler würde, und wünschte es nicht nur, sondern hatte ihn dazu bestimmt, ja er konnte sich gar keinen anderen Beruf für ihn vorstellen – was die Frauen auch einwandten oder der Junge selbst für Absichten haben mochte –, so wenig wie sich ein König auf einem sicheren Thron für seinen Erben etwas anderes als das Königtum ausmalen konnte.«Das offene Wort»hatte Mr Weston einmal in einer Schlagzeile als Immobilienkönig von Drake County bezeichnet, und Mr Weston hatte diesen Titel bescheiden, aber würdevoll akzeptiert. Das alles wusste Vance, und doch war die Zeit des Hinhaltens vorüber. Hier und jetzt gedachte er seinem Vater zu antworten:«Ich glaube, ich gehe lieber zu einer Zeitung.»Denn er hatte beschlossen, Schriftsteller zu werden, wenn möglich Dichter, und er kannte keinen anderen Weg zum Parnass als den durch die Spalten einer Tageszeitung, entlang an der Berichterstattung über Baseballspiele und der Aufdeckung von Geschäftsskandalen. Doch als er sprechen wollte, quoll in seinem Hals etwas Heißes, Erstickendes hoch, und der helle, scharf konturierte Tisch mit den langweiligen, scharf konturierten Gesichtern darüber löste sich plötzlich in Nebel auf.
    Unsicher schob er seinen Stuhl zurück.«Ich habe Kopfweh, ich gehe lieber nach oben», murmelte er in den kreiselnden Raum. Er sah das Staunen in ihren Gesichtern und gewahrte verschwommen, wie Pearl sich aus dem Nebel löste und auf ihn zukam, besorgt und neugierig. Er stieß sie zurück, keuchte:« Alles in Ordnung … nur keine Aufregung … ach, lasst mich einfach in Ruhe, alle miteinander!», gelangte irgendwie hinaus, lief nach oben in sein Zimmer und fiel dort aufs Bett, geschüttelt von einem Sturm trockener, tränenloser Schluchzer.

    Zwei Ärzte befanden, schuld sei eine Malaria-Mikrobe; wahrscheinlich sei er auf den sumpfigen Wiesen draußen in Crampton oder unten am Fluss von einer Anopheles-Mücke gestochen worden. Der dritte Arzt, ein Bakteriologe aus dem Labor des College, diagnostizierte Typhus ambulatorius, und den habe er sich höchstwahrscheinlich geholt, weil er Flusswasser getrunken habe. Er gehe ja wohl öfter nach Crampton … Verwandte dort? Soso … Das Wasser in Crampton sei das reine Gift, sie hätten jeden Frühling und Sommer zahlreiche solche Fälle. Dieser Arzt wurde nicht mehr zurate gezogen, und der Familie fiel auf, dass Lorin Weston plötzlich wieder Schritte unternahm, um das Trinkwasser aus Euphoria hinaus nach Crampton zu leiten. Das war immer ein leidiges Thema gewesen; es zu erwähnen bedeutete, in ein wahres Hornissennest aus kommunalen und staatspolitischen Problemen zu stechen, Problemen von der Sorte« Keine schlafenden Hunde wecken», und Mrs Weston war erleichtert gewesen, als ihr Mann voriges Jahr erzählte, er habe« Das offene Wort», die führende Tageszeitung von Euphoria, gebeten, die Nachforschungen zur Trinkwasserversorgung in Crampton einzustellen.«Das offene Wort»hatte sich daran gehalten; eine Woche später kaufte Mr Weston einen neuen Buick und sagte beim Essen, er kenne keine schlimmere Zeitverschwendung als Skandaljournalismus. Nun wurde die Frage erneut aufgegriffen, und Mrs Weston wusste, dass es mit dem zusammenhing, was der andere Arzt gesagt hatte, derjenige, der kein zweites Mal geholt wurde. Aber sie behielt ihre Meinung für sich, wie bei allem, was Geschäft oder Politik betraf, pflegte ihren Sohn und sagte zu ihrem Mann, er solle nicht so nervös sein, davon gehe es dem Jungen
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