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Ein altes Haus am Hudson River

Ein altes Haus am Hudson River

Titel: Ein altes Haus am Hudson River
Autoren: Edith Wharton
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und blickte ihm nach.«Denk daran, Vanny – die Liebe ist überall!», rief sie ihm hinterher. Stattlich und das Herz voller Segenswünsche stand sie zwischen den Fliederbüschen und winkte zum Abschied.

    Vance wanderte dahin in einem Nebel aus unbestimmtem Sehnen, ausgelöst von seinen eigenen Worten, so wie diese von der Frühlingsluft und den gelben Blüten im Straßengraben ausgelöst worden waren. Die Dämmerung senkte sich herab und mit ihr der alte Zauber von Crampton. An der Straße zum Haus von Harrison Delaney ging er vorüber, doch als er zu dem Feldweg kam, der zum Fluss hinunterführte, blieb er stehen, gefangen von seinem früheren Traum. Alles, was ihn an diesen Ort gebunden hatte, war vorbei und überstanden – er hatte seine Lehrjahre des Herzens hinter sich und den Preis bezahlt. Dennoch war es schwer, das mit neunzehn Jahren an einem Frühlingsabend zu erkennen und sich für immer aus der Schar der Jungen und Glücklichen ausgeschlossen zu fühlen. Wohl hatten auch andere so etwas erlebt und überlebt – so stand es in den Büchern. Aber an diesem Abend glich seine Seele einer Wüste.
    Seit Floss hatte er nie mehr ein Mädchen angesehen – und wollte auch nie mehr eins ansehen. Hatte sich stattdessen am Gedichteschreiben abgearbeitet. Manchmal, für ein paar Augenblicke, vermochte das Dichten ihm ihre Zärtlichkeiten fast zu ersetzen, schien sie ihm so nahezubringen, als seien Worte warm und greifbar wie Fleisch. Dann verwehte die Illusion, und er war wieder in der Wüste … Hin und wieder zwickte er sich versuchsweise in Gedanken dorthin, wo der Schmerz gesessen hatte, nur um sicherzugehen, dass er nichts mehr fühlte – buchstäblich nichts. Doch als die Bäume am Fluss Knospen trugen und die Knospen schwarz vor einem gelben Himmel standen, kam der Schmerz jählings zurück und packte ihn am Herzen, so wie einem plötzlich ein Hexenschuss zwischen die Schultern fährt. Lange stand er da, starrte über das Feld und dachte daran, wie er immer hinuntergegangen war, sich am Fluss versteckt und durch die Büsche nach Floss Ausschau gehalten hatte. Öfter noch war sie zuerst da gewesen, und ihre starken jungen Arme hatten ihn zu sich hinuntergezogen … Inzwischen war es ungefährlich, sich daran zu erinnern. Floss hatte Euphoria verlassen; es hieß, sie habe in einem Kaufhaus in Dakin hinter Chicago eine Stelle gefunden. Das hatte wohl sein Vater eingefädelt … Der Schauplatz ihrer kurzen Leidenschaft lag verlassen da, und für ihn würde es immer so bleiben. So war eben das Leben. Seine Bitterkeit verging allmählich; er dachte an ihre Küsse und verzieh ihr. An den Zaun gelehnt, zog er eine Zigarette heraus und hing tiefschürfenden männlichen Gedanken nach, über sie und die Frau an sich.
    « Du wirst doch wohl nicht erwartet haben, Vance Weston», unterbrach er sich plötzlich,«dass du der Einzige bist, der sich dort unter den Büschen mit einem Mädchen trifft?»Ausgelöst wurde diese Bemerkung vom Anblick eines Mannes, der über leere Grundstücke zum Rand des Ahornwäldchens schlenderte. Selbst auf diese Entfernung machte er den Eindruck von jemandem, der nicht gesehen werden möchte, aber tut, was er kann, um dies nicht zu verraten. Angesichts dieses Schauspiels änderte sich Vance’ Laune augenblicklich; er blieb an den Zaun gelehnt stehen, paffte spöttisch seine Zigarette und pfiff eine Melodie aus einem Vaudeville 12 . Das Licht wurde schwächer, der Mann war noch zu weit weg, als dass er ihn hätte erkennen können, doch als er sich näherte, sah Vance eine große, hagere Gestalt, die sich mit der Munterkeit eines älteren Mannes bewegte, der versucht, jung zu wirken, aber bei jedem Schritt von seinen steifen Gelenken daran gehindert wird. Diesen Gang kannte er gut, ebenso den Gehrock, der über einer zerknitterten Weste offen stand, und die breite Krempe des Filzhutes. Nun nahm der Mann den Hut ab und wischte sich über die Stirn; der letzte schräge Strahl der untergehenden Sonne beleuchtete sein dunkles Gesicht, die markante Nase, den weichen, schönen Mund und die schwarz-weiße, zurückgekämmte Mähne. Amüsiert und von einer unbestimmten Neugier erfasst, stand Vance da und starrte auf seinen Großvater wie auf eine Erscheinung.
    Bei Großpapa konnte man nie sicher sein – das wusste die ganze Familie und fand sich damit ab wie mit dem Wetter. Trotzdem, hier auf ihn zu stoßen, wie er da am Wäldchen entlangschlich und sich die Stirn wischte, als wäre er gerade hinter
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